ZWEITER AKT
DRITTES BILD
Garten und Veranda vor dem Hause Mas. Im Hintergrund zieht die Strasse vorbei
FRAU MA
Mein Name ist Yü-pei, das bedeutet Kleinod. Ich bin die erste Gattin, die Gemahlin erster Klasse des Herrn Ma. Es ist jetzt ein Jahr her, dass Herr Ma eine zweite Gattin ins Haus genommen hat, eine unausstehliche Person namens Haitang, über deren sittliche Qualitäten ich mich nicht äussern will. Aber es sagt schon genug, dass Herr Ma sie von der Strasse aufgelesen, wo sie in einem Teehause die zweifelhafte Rolle einer Kurtisane - ich gebrauche dieses beschönigende Wort - spielte. Ich bin in tiefster Seele verletzt, dass Herr Ma mir, seiner Gattin ersten Ranges, eine solche Persönlichkeit vorzieht. Zu allem Überfluss hat sie ihm einen Knaben geboren, einen Erben, während mein Schoss unfruchtbar geblieben ist. Weh mir, was hab' ich zu erwarten, wenn ich nicht selbst mein Geschick entschlossen in diese kleinen Hände nehme? Zum Glück wird mir jemand beistehen, der mir ergeben ist auf Leben und Tod.
TSCHAO
auftretend
Und das ist niemand anderer als Ihr dienstwilliger Knecht Tschao, Gerichtsbeamter am hiesigen Amtsgericht.
FRAU MA
Ich freue mich, Sie zu sehen, Tschao. Wo kommen Sie zu dieser Stunde her?
TSCHAO
Herr Ma hatte die Freundlichkeit, mich in einer geschäftlichen Angelegenheit zu sich zu bitten.
FRAU MA
Was ist das für eine geschäftliche Angelegenheit?
TSCHAO
Ich bin leider noch nicht unterrichtet, gnädige Frau.
FRAU MA
Ich hatte diese Nacht einen Traum. Ich träumte, wir beide gingen eine steinige Strasse, viele, viele Stunden lang. Die Sonne brannte unerträglich. Kein Baum, kein Strauch - nicht der Schatten eines Schattens, Mich dürstete, dass ich zu sterben meinte, Da nahmen Sie ein Messer, Tschao, stiessen es sich ins Herz. Ihr Blut rann nieder, und Sie sprachen, schon vergehend: Yü-pei, trinken Sie mein Blut, das ich gern für Sie verströme.
TSCHAO
Und Sie?
FRAU MA
Ich trank und war gerettet. Und fast schien es mir im Traum, als liebte ich Sie, da Sie tot waren, noch inniger, als da Sie noch lebten.
TSCHAO
Wann werden wir einander völlig angehören dürfen, frei vor aller Welt, und nicht heimlich wie jetzt im Garten, wenn Herr Ma ausgegangen ist?
FRAU MA
Bald, vielleicht eher, als Sie meinen.
TSCHAO
Yü-pei, zuweilen bin ich ganz verzweifelt, und zuweilen will es mich würdiger dünken, ich machte diesem qualvollen Leben ein Ende, als dass ich noch weiter dahinsieche und meine Tage dahinschleppe wie ein Kahntrecker seinen elenden Kahn den Yang-tse-kiang hinauf. In den Falten meines Mantels trage ich ihn immer bei mir, den Tröster, der ewigen Trost brächte.
Holt ein kleines Büchschen hervor
Ich kaufte es einem Mönch ab im Tempel des Wu-wang.
FRAU MA
Gift! Gib mir das Gift, gib es mir, du darfst es nicht bei dir tragen in einem Zustand, da dein Gemüt verdunkelt ist.
Sie entwindet ihm das Büchschen
Ich hebe es auf! Wer weiss, ob nicht die Stunde kommt, da wir gemeinsam die Reise in die unteren Bezirke antreten.
TSCHAO
Mit Dir zu sterben, wäre Seligkeit.
FRAU MA
Jetzt sollst du noch mit mir leben, und diese Seligkeit wird süsser sein.
Zieht ihn hinter einen Baum. Umarmung
Ich bat dich bei unserer letzten Zusammenkunft, die Gesetzesbücher auf einen strittigen Punkt durchzusehen und mir Auskunft zu geben über die Frage: Wer ist Erbe von Geld und Gut, Haus und Hof, wenn der Mann stirbt?
TSCHAO
Erbe, und zwar Alleinerbe, ist die erste Frau, die Gattin erster Klasse.
FRAU MA
freudig
Tschao!
TSCHAO
Doch tritt in der Erbfolge eine Änderung ein, falls sie kinderlos bleiben sollte.
Fran Ma stampft mit dem Fuss auf
TSCHAO
Hat eine Nebenfrau einen Knaben geboren, dann tritt sie und das Kind in die Rechte der Alleinerben, und die Hauptfrau wird auf ein Pflichtteil gesetzt.
FRAU MA
Das ist also mein Schicksal, wenn Ma stirbt. Habe ich ihm nicht schon treu gedient, als diese Hure von Haitang noch gar nicht auf der Welt war? Jetzt soll ich mein Alter in Armut und Elend wie einen Leinensack tragen, während sie mit ihrem Bankert in goldener Sänfte an mir vorbeigetragen wird, und ich hocke am Strassenrand und bettle um ein paar Kesch.
TSCHAO
Das wird nie geschehen, solange ich lebe.
FRAU MA
Grosses Kind - bist du nicht arm wie eine Kirchenmaus? Muss ich dir nicht immer von mir aus noch einige Taels zustecken und dir Reis und Kuchen schicken? Du wärst wohl längst verhungert ohne mich.
TSCHAO
So siehst du keinen Weg aus dem Elend?
FRAU MA
langsam
Ich sehe - einen. Wirst du mir versprechen, mir auf diesem Weg zu folgen, auch wenn dieser Weg ein krummer Weg sein sollte? Wirst du die Augen schliessen und dich ganz meiner Führung anvertrauen? Mir zuliebe?
TSCHAO
Ich will es versprechen, weil ich keinen Weg sehe.
FRAU MA
Die Stunde des Gerichts hat eben zu schlagen begonnen. Ich werde gehen, dich Herrn Ma zu melden.
Ab
TSCHAO
Tschao-hai nennt man mich auf dem Gericht: Tschao, den sich durch Tugenden Auszeichnenden. Werde ich diesen Ehrentitel noch lange tragen dürfen? Ich werde heute abend Räucherwerk entzünden, um die bösen Geister, die sich in meinem Hause und meinem Herzen schon festgenistet haben, zu vertreiben.
Ma erscheint auf der Veranda, hinter ihm Frau Ma, Haitang, die sich alle drei verneigen. Tschao ebenfalls
MA
Wie tief im Tal der schwarze Fluss, daran
die Stadt gelagert wie ein Haufen,
von den Söldnern nach der Schlacht!
Es warf ein jeder
sich in das Feld, grad wo er stand, so sehr
ermüdeten ihn Blutrausch, Mord und Tod.
Also die Häuser, da und dort verstreut,
gehalten nur
von einem Turm, der herrisch in der Mitte
den Strahlenhelm nach allen Seiten dreht
Der Yang-tse-kiang, so sagt man, berge Perlen
in seinen schwarzen Wassern. Wer um Mitternacht,
mit reinem Sinn und Zauberspruch begabt,
sich an das Perlenfischen macht, dem ist
zuweilen wohl ein seltner Fund gegönnt.
Ich ging die Nacht an seinen dunklen Ufern
und fand ganz ohne Zauber - auch das Herz
war nicht so rein, wie die Beschwörung fordert -
ich fand ein Perlchen doch und hob es auf.
Und strahlender als des Mikado Perlen
hat's mir die Nacht erleuchtet, süsser mich
als alle Perlen Indiens beglückt.
Frau Ma und Haitang bringen je eine Strohmatte, die sie ausbreiten
MA
Ich bitte Platz zu nehmen.
Ma und Tschao setzen sich auf die Strohmatten. Zu den Frauen
Lasst uns allein,
Haitang und Frau Ma ab
TSCHAO
Ein herrlicher Frühlingstag!
MA
Lau und milde wie ein Sommertag. Er tut meinen alternden Gliedern wohl. So ist Haitang.
Tschao schweigt
MA
Man nennt Sie auf dem Gericht Tschao-hai: der sich durch Tugend, Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit auf das höchste auszeichnet.
TSCHAO
Meine Verdienste sind unbeträchtlich, man übertreibt.
MA
Ich möchte Sie daher ersuchen, meine Interessen in einer juristischen Angelegenheit zu vertreten, die mir schon lange im Kopfe herumgeht.
TSCHAO
Und worum handelt es sich, wenn ich mir die Frage gestatten darf?
MA
Ich habe beschlossen, mich von meiner Gattin ersten Ranges, Yü-pei, scheiden zu lassen und Haitang in ihren Rang zu erheben. Ich liebe Haitang, sie hat mir einen Erben geboren, ich beauftrage Sie mit der Erledigung der juristischen Formalitäten.
Tschao ist aufgesprungen
MA
Warum bleiben Sie nicht sitzen?
TSCHAO
Ich leide in letzter Zeit an Rheumatismus. Ich bitte um Entschuldigung.
Setzt sich wieder
MA
Nun? Wollen Sie meine Angelegenheit führen?
TSCHAO
Ich bin selbstverständlich entzückt, Ihnen behilflich sein zu können.
MA
Es würde die Lösung erleichtern, wenn man Frau Ma eine Untreue nachweisen könnte, irgend ein Verhältnis mit einem Mann, das die Sittenlehre nicht billigt.
TSCHAO
Man konstruiert einen Ehebruch.
MA
Ich sehe, wir verstehen uns.
Klatscht dreimal in die Hände, Frau Ma und Haitang erscheinen
Yü-pei, geleite den Herrn bis an das Tor. Haitang, du hast mir heute den Knaben noch nicht gezeigt? Komm, zeige ihn mir!
Beide ab ins Haus
FRAU MA
Was wollte er?
TSCHAO
Er will sich scheiden lassen.
FRAU MA
Von – mir?
TSCHAO
Von Dir. Er beauftragt mich, die Scheidung einzuleiten.
FRAU MA
Wir müssen handeln, jeder Aufschub wäre Torheit und Verrat am eigenen Geschick.
TSCHAO
Was willst du tun?
FRAU MA
Schliesse die Augen! Der Gott des Dunkels sei mit dir!
(Frau Ma ab ins Haus)
Am Gartenzaun erscheint, völlig zerlumpt, Tschang-ling
TSCHANG-LING
Nun bin ich gegangen
Von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt,
Blieb niemand an mir hangen.
Es rollt des Schicksals Rad,
Und Stunde rollt und Tag und Jahr,
Stein ward mein Herz, staubweiss mein Haar;
Wie doch die Landstrass' staubig war.
Trugglanz ist alles, und nichts ist wahr.
Ich hab' keine Heimat, wenn nicht das Feld.
Ich habe kein Haus, wenn nicht die Welt.
Kein Geld, kein liebes Lächeln, das mich hält.
Ihr Herren und Damen, in aller Heiligen Namen,
Wollet mir etwas schenken!
Und wenn ich's versaufe, wer kann mir's verdenken?
Ich laufe durch die Welt, wie elend,
wie schwelend mein Herz! Flamme unter der Asche! Rauch und Russ überall. Tags sass ich in hohlen Baumstämmen und schlief. Nachts machte ich mich auf den Weg und lief da - und dorthin. In Fetzen hängen mir einige Lumpen am Leibe. Mein Magen ist eine gedörrte Pflaume. Vor den Tempeltüren kniee ich und flüstere heiser: eine Kesch, schöne Dame, eine Kesch, hoher Herr. - Ich trat der Gesellschaft bei, die das Los der armen Menschen bessern will. Weh uns, dass Männer ihre Seele, Mütter ihre Töchter verkaufen müssen, um des nackten, dürftigen Lebens willen. Die Menschheit muss endlich einmal von ihrem Jammer erlöst werden. Der edle Same des Menschentums darf nicht unter dem Unkraut der Unmenschlichkeit erstickt werden. Ein solch verruchtes Unkraut ist Herr Ma, der Besitzer dieses Hauses. Er hat meinen Vater in den Tod, mich in das Elend getrieben und meine Schwester gezwungen, sich ihm zu verkaufen. Sein Name ist in der Liste der Brüderschaft längst mit einem Kreidekreis umgeben. Das bedeutet seine Trennung von dieser Welt. Sein Urteil ist gesprochen. Und ich bin erkoren, es zu vollstrecken.
Haitang erscheint
HAITANG
Was will der fremde Mann am Zaun?
TSCHANG LING
Er bittet demütigst um eine Schale Reis. Ihn hungert.
HAITANG
geht und kommt im Augenblick mit einer Schale Reis wieder, die sie ihm bietet
Wer bist du, fremder Mann?
TSCHANG LING
Der Sohn eines Vaters, der sich erhängte, der Sohn einer Mutter, die in Kummer starb. Der Bruder einer Schwester, die sich verkaufte.
HAITANG
Bruder! Lass mich vor dir niederknieen und den Staub von deinen Füssen küssen.
TSCHANG LING
Kannst du mir verzeihen, dass ich dich einst schlug wie man ein Maultier schlägt? Wie darf Mensch den Menschen schlagen, Bruder die Schwester?
HAITANG
Unsere Mutter starb, als du in der Fremde warst. Herr Ma hat mich als seine Gattin ehren und achten gelernt. Er hat mir ein Kind geschenkt.
TSCHANG LING
Wie, du hast dich dazu hergegeben und erniedrigt, diese verfluchte Rasse der Ma fortzupflanzen?
HAITANG
Es ist auch mein Kind, und auch ich werde in ihm auf Erden wandeln, wenn mein Leib längst im Sarge fault. Ich flehe dich an, Ma nicht zu hassen.
TSCHANG LING
Ich bin Mitglied der Bruderschaft vom weissen Lotos. Sie hat sein Todesurteil gesprochen.
HAITANG
Lass mich das Orakel des Kreidekreises befragen.
Sie zieht einen Kreis
Gib mir das Messer. Ich werfe mit dem Messer nach dem Kreis. Der Kreis umschliesst sein Leben. Trifft das Messer den Raum innerhalb des Kreises, so haben die Götter gerichtet, so muss er sterben.
Sie schleudert das Messer; es trifft genau die Kreislinie
Das Messer hat nicht innen, nicht aussen, es hat genau die Linie des Kreidekreises getroffen. Bruder, nimm das Messer, und berichte der Bruderschaft von dem wunderlichen Orakel. Lass es die Weisesten der Bruderschaft deuten. Dies eine versprich mir, das Urteil nicht eher zu vollziehen, als bis der Sinn des Orakels geklärt.
TSCHANG LING
Ich werde es den Brüdern berichten. Ich werde wiederkommen.
HAITANG
Bruder, lieber Bruder, wie siehst du so armselig drein. Komm, nimm dieses Pelzgewand
sie zieht es aus
über deine Lumpen, und nun geh! Foh sei mit dir!
TSCHANG LING
Kwanyin segne dich!
Ab. Haitang sieht ihm am Gartenzaun nach. Frau Ma erscheint
FRAU MA
Sie sprachen am Gartenzaun mit einem fremden Mann. Wer war es?
Haitang schweigt
FRAU MA
Ich kann mir wohl denken, wer es war. Schämen Sie sich nicht, an der Strasse mit Männern anzubändeln? Sie haben wohl Ihre Teehausmanieren noch nicht verlernt? Haben Sie vergessen, dass Sie, wenn auch die zweite Gemahlin eines hochgeachteten Mannes geworden sind? Sie treten die Ehre des Herrn Ma, meines hohen Gebieters und Herrn, mit Füssen. - Und was sehe ich soeben? Wo ist der kleine Mantel geblieben, den Sie heut früh noch über dem Kleid trugen?
HAITANG
Ich habe ihn verschenkt.
FRAU MA
Ein Geschenk des Herrn Ma haben Sie verschenkt?
HAITANG
Ich habe ihn jenem armen Mann am Zaun geschenkt. Er ist so arm, und wir sind so reich. Es war ein Bettler.
FRAU MA
Sind Sie schon soweit heruntergekommen, dass Sie sich unter Bettlern einen Liebhaber suchen?
HAITANG
Das Gesetz gebietet, den Armen wohlzutun,
FRAU MA
Das, was Sie «Wohltun» nennen, wird das Sittengesetz nicht gemeint haben.
HAITANG
Wie viel Elend ist in der Welt, wollen wir nicht versuchen, es zu lindern?
Frau Ma schnell ab. Haitang folgt ihr sehr langsam
Verwandlung
VIERTES BILD
Zimmer im Hause des Herrn Ma. Tisch und Stühle. Durch eine breite Öffnung in der Rückwand blickt man auf Garten und Strasse. Herr Ma sitzt am Tisch, den Tee erwartend. Frau Ma deckt den Tisch
FRAU MA
Darf ich eine Frage an meinen Herrn richten?
MA
Ich bitte.
FRAU MA
Haitang scheint Ihrem Herzen seit einiger Zeit besonders nahe zu stehen?
MA
Sie schenkte mir einen Erben.
FRAU MA
Sie haben mir seit Monaten nicht mehr die Ehre eines nächtlichen Besuches erwiesen.
MA
Ich bin Ihnen Rechenschaft nicht schuldig.
FRAU MA
Haitang betrügt Sie! Ich sah sie mit einem fremden Menschen am Gartenzaun stehen. Vielleicht hat sie gar dunkle Pläne, wer weiss? Sie hat dem Fremden ihren mit Pelz besetzten Überwurf geschenkt, den Sie ihr zum Geburtstag verehrten.
Haitang kommt mit einer Tasse Tee
MA
Haitang, man hat mir eben schlimme Dinge berichtet. Du hast mit einem fremden Mann hier am Gartenzaun geredet?
HAITANG
Ich habe mit einem Bettler gesprochen.
MA
Du schenktest ihm den kleinen Mantel, ein Geschenk von mir? Achtest du so die Geschenke deines Mannes, der dich liebt?
HAITANG
Ich diene in Demut meinem Herrn und weiss seine Güte zu schätzen, aber der Bettler hatte nur Lumpen auf seinem Leib, er fror, er dauerte mich.
MA
Sahst du den Bettler heut zum ersten Male?
HAITANG
Nein.
FRAU MA
Erkennen Sie nun ihre Treulosigkeit?
MA
Wer war der Bettler?
HAITANG
Mein Bruder.
FRAU MA
Glauben Sie der lügnerischen Person?
MA
Ich glaube, denn ich liebe. Seit ich Dich kenne, Haitang, hast Du mein Herz verwandelt. Du hast nichts dazu getan, mich zu überzeugen. Dein einfaches Dasein wirkte. Hättest Du mir den Tod gewünscht, es wäre nur allzu natürlich gewesen. Ich habe Dich aus dem Teehaus geraubt, wie ein wilder Affe im Urwald ein Menschenweib raubt. Du warst immer gleich, immer Du, sanft wie eine Göttin. Durch Dich habe ich erst an das höchste Wesen zu glauben gelernt. Haitang, fühlst Du, dass ich zu lieben vermag, und dass ich Dich liebe?
HAITANG
Tränen der Freude steigen mir ins Auge. Am Himmel, die Sonne lächelt wieder. Es wird alles wieder gut werden, da Du, Ma, wieder gut wurdest.
FRAU MA
Sie wollten Tee trinken, gnädiger Herr.
HAITANG
Ich vergass den Zucker. Wie nachlässig ich bin.
FRAU MA
Geben Sie die Tasse, ich werde den Zucker hineintun.
Sie nimmt die Tasse, geht zur Rückwand, zieht die Büchse heraus, die ihr Tschao gegeben; leise:
Ich werde den Zucker hineintun, den mir Tschao gegeben.
Schüttet das Gift in den Tee
HAITANG
Die Liebe zu Dir hat heute sich wie eine Lotosblume in mir entfaltet.
MA
Ich danke Dir für deine Liebe.
HAITANG
Warum sprach ich soeben von einer Lotosblüte? Erinnere mich, wenn Du den Tee getrunken, dass ich Dir von einer Lotosblüte erzählen muss.
FRAU MA
gibt Haitang die Tasse mit Tee
Kredenzen Sie ihm den Tee. Aus Ihren Händen mundet er ihm doppelt gut.
Haitang nimmt die Tasse und reicht sie Ma.
MA
Erzähle mir, während ich trinke, das Märchen von der Lotosblüte.
Er trinkt, lässt die Tasse fallen, die in Scherben klirrt. Fasst Haitang am Handgelenk
Haitang - ich - sterbe -
Fällt tot zusammen
HAITANG
Mein lieber Mann - mein lieber Mann - hörst du mich nicht? Siehst du mich nicht? Bist du nicht mehr bei mir?
Sie kniet hin vor Ma, legt seinen Kopf in ihren Schoss
FRAU MA
Hilfe! Hier ist jemand ermordet. Herr Ma ist vergiftet.
Hin und Herlaufen von Dienern und Dienerinnen. An der Strasse tauchen Tschao und Tschang Ling auf. Eine Polizeipatrouille erscheint
FRAU MA
Ieise, zu Tschao
Ma ist tot. Wir sind frei!
TSCHAO
zurückweichend
Wer hat ihn getötet?
Polizei
EIN POLIZIST
Was gibt es?
FRAU MA
Diese Person da, Herrn Mas zweite Gattin, ehemals ein Teehausmädchen niederen Ranges, hat meinen erlauchten Gatten, Herrn Ma, vergiftet.
POLIZIST
Bindet sie!
HAITANG
in der ersten Stunde, da ich dich kennen lernte, muss ich dich verlieren, Ma. - Gebt mir mein Kind! Reisst mich nicht von meinem Kinde!
FRAU MA
Von i h r e m Kinde? Ihr Geist ist verwirrt oder voll böser Anschläge. Sie hat kein Kind. Das Kind im Hause ist mein Kind, das ich von Herrn Ma empfangen, und das sie nur gewartet hat.
POLIZIST
Führt die Verbrecherin ab!
TSCHANG LING
Ein Gott hat gerichtet!
HAITANG
vor Mas Leiche
Er wird abwischen alle Tränen von meinen Augen.
Vorhang