I PROLOG
LAUTSPRECHER
Hallo, hallo!
Sie hören jetzt:
Der Kaiser von Atlantis,
ein Spiel in einem Akt.
Es treten auf: Kaiser Overall,
den man schon seit
Jahren nicht gesehen
hat, denn er ist in seinem Riesenpalast
eingeschlossen, ganz allein, um
besser regieren zu können;
der Trommler, eine nicht ganz wirkliche
Erscheinung; der Lautsprecher,
den man nicht sieht, nur hört;
ein Soldat und ein Mädchen.
Der Tod als ein abgedankter Soldat;
und Harlekin als das Leben.
Die erste Szene findet an einem
unbestimmten Ort statt.
Tod und Harlekin sitzen im Ausgedinge,
das Leben, das nicht mehr lachen,
und das Sterben, das nicht mehr weinen
kann in einer Welt, die verlernt hat,
am Leben sich zu freuen
und des Todes zu sterben.
Der Tod, den das geschäftige Getriebe,
die Hast urd die maschinelle
Entwicklung des modernen Lebens
gekränkt und beleidigt hat, zerbricht sein
Schwert um der Menschheit eine Lehre
zu erteilen und beschliesst, von nun an
niemand mehr sterben zu lassen.
Hallo, hallo!
Wir beginnen!
Erste Szene
(Tod und Harlekin)
Comodo Grazioso
(Auf einer Bank sitzen Tod und Harlekin. Harlekin, ein bärtiger Greis, singt. Der Tod, in abgetragener k.u.k. Uniform, zeichnet mit dem Säbel in dem Sand.)
Allegretto grazioso
Aria
HARLEKIN
Der Mond geht auf den Firsten
mit seinem Stelzenbein;
die Knaben dürsten
nach Liebe, nach Wein.
Die hat er mitgenommen,
sie werden nicht mehr wiederkcomen
nicht mehr wiederkommen.
Was wollen wir nun trinken?
Blut wollen wir nun trinken.
Was wollen wir nun küssen?
Des Teufels Hintern.
Da wird die Welt so kunterbunt
und dreht sich wie ein Ringelspiel.
Wir fahren auf dem Bock.
Der Mond ist weiss,
das Blut ist heiss,
der Wein ist süss,
die Liebe ist im Paradies.
Was bleibt uns armer Welt zuteil?
Wir bieten uns auf dem Jahrmarkt feil.
Will uns niemand kaufen?
Will uns niemand kaufen,
weil jeder sich selbst los sein will?
Wir müssen in alle vier Wirde laufen.
Ah!
Recitativo alla secco
TOD
Lass sein. Was singst du da?
HARLEKIN
Ich singe so...
TOD
Was haben wir heut für einen Tag?
HARLEKIN
Ich wechsle die Tage nicht mehr täglich,
seit ich's mit dem Hemd nicht tun
kann, und nehme nur einen neuen,
wenn ich frische Wäsche anziehe.
TOD
Darm musst du ja tief im vorigen
Jahr stecken!
HARLEKIN
Vielleicht Dienstag? Mittwoch? Freitag?
Einer wie der andre.
III Dúo
Allegretto misurato
TOD
Tage, Tage, wer kauft Tage?
HARLEKIN
Tage, Tage, wer kauft Tage?
Schöne, neue, unbekannte
Einer wie der andre.
Einer wie der andre.
Wer kauft Tage? Wer kauft Tage?
Vielleicht steckt in
einem das Glück, das Glück
dann wirst du König.
dann wirst du König.
Alte, billige Tage.
TOD
Tage, Tage, wer kauft Tage?
Tage, Tage, wer kauft Tage?
Schöne, neue, unbekannte
Tage, Tage, wer kauft Tage?
Einer wie der andre.
Wer kauft Tage?
Wer kauft Tage?
Vielleicht steckt in
einem das Glück, das Glück
dann wirst du König.
dann wirst du König.
Wer kauft Tage,
Tage, Tage, Tage.
Récitatif
HARLEKIN
Ich fühle mich wenig wohl in meiner Haut,
seit ich mir selbst zum Halse
raushänge! Du solltest mich umbringen,
es ist doch schliesslich dein
Beruf! Und ich langweil mich,
das ist nicht zum Aushalten!
TOD
Lass mich in Frieden, du bist nicht umzubringen.
Das Lachen, das sich selbst
verhöhnt, ist unsterblich.
Dir selber kannst du nicht entlaufen, bleibst
trotz allem Harlekin!
IV
(Harlekin und Tod)
Tranquillo molto
HARLEKIN
Und was ist das?
Eine Erinnerung, blasser
als die vergilbten Photographien
dieser Menschen, die nicht mehr
lächeln konnen. Über mich lacht keiner...
Wenn ich vergessen könnt', wie junger
Wein schmeckt, wenn ich wieder vor der
fremden Berührung der Frau erschauern könnte...
Recitativo
TOD
Es lächert mich, wenn ich dir zuhöre.
Du bist kaum 300 Jahre alt, und ich
mache dieses Theater mit,
seit die Welt steht!
Jetzt bin ich alt und kann
nicht mehr mit...
Du hättest mich sehen sollen!
V Aria de la Muerte
(Blues – Allegro maestoso)
TOD
Das waren Kriege,
wo man die prächtigsten Kleider trug,
um mich zu ehren, um
mich zu ehren! Gold und Purpur,
blitzende Harnische, man schmückte sich für
mich, wie eine Braut für ihren Gatten.
Bunte Standarten flatterten über den
Streitrossen...
Landsknechte würfelten
auf der Kriegstrommel, und wenn sie tanzten,
krachten den Weibern die Knochen,
und sie klebten vom Schweiss ihrer Tänzer...
So oft bin ich mit den kleinen
Pferden Attilas um die Wette gelaufen,
mit den Elefanten Hannibals
und dem Tigern Dschehangirs,
dass meine Beine zu schwach sind,
um den motorisierten Kohorten folgen zu können.
Was bleibt mir übrig, als hinter den neuen
Todesengeln zu hinken, ein
kleiner Handwerker des Sterbens?
VI Aria de la tamborilera
Allegro con brío
(Trommler, Tod und Harlekin)
TROMMLER
Hallo, hallo! Achtung! Achtung!
Eine Nachricht an die Bevölkerung !!!
Im Namen des Kaisers Overall!
(etwas feierliches)
Wir, zu Gottes Gnaden Overall der Einzige,
Ruhm des Vaterlandes,
Segen der Menschheit,
Kaiser beider Indien,
König von Atlantis,
regierender Herzog von Ophir
und wirklicher Truchisess der Astarte,
Ban von Hungarn,
Kardinalfürst von Ravenna,
König von Jerusalem.
Récitatif
Unsere Landen werden
von einer frechen Räuberbande verwüstet,
die wir mit allen Mitteln
beschlossen haben auszurotten.
Wir, zu Gottes Gnaden Overall
der Einzige, Ruhm des Vaterlandes,
Segen der Menschheit,
Kaiser beider Indien,
König von Atlantis, regierender
Herzog von Ophir
und wirklicher Truchsess der Astarte,
Ban von Hungarn,
Kardinalfürst von Ravenna,
König von Jerusalem,
zur Verherrlichung unsrer
göttlichen Natur Erzpapst,
haben in unsrer unfehlbaren,
alles durchdringenden
Weisheit beschlossen,
über all unser Gebiet den grossen,
segensreichen Krieg
Aller gegen Alle zu verhängen.
Andante misurato
Passacaglia
Jedes Kind, ob Knäblein ob Mägdlein,
jede Jungfrau, Gattin, Mutter, jeder
Mann, ob krumm oder grade,
wird die Waffe führen in diesem heiligen Kampf,
der mit dem Sieg unserer apostolischen
Majestät und der Vernichtung des
Bösen in unseren Landen enden wird.
Mit diesem Augenblicke erklären wir den
Feldzug für siegreich eröffnet.
Récitatif
Unser alter Verbündeter, der Tod,
wird Uns sein glorreiches Banner vorantragen,
im Namen unserer grossen Zukunft
und seiner grossen Vergangenheit.
Streitet tapfer!
Gegeben im Jahre fünfzehn unserer
segensreichen Regierung.
Gezeichnet: Overall.
Allegretto molto a tempo
TOD
Hörst du, wie sie mich höhnen?
Alle eure Kascbinen des Sterbens
sollen z u schande werden,
denn di e Seelen von der Erde
nehmen kann nur ick!
Die Fahne vorantragen!
Meine grosse Vergangenheit!
Eure grosse Zukunft!
HARLEKIN
Ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha!
TOD
(Er zieht den Säbel)
Hi hi! Im Namen eurer grossen Zukunft!
TROMMLER
(Verlassen der Szene)
Wir, zu Gottes Gnaden,
Overall der Einzige...
HARLEKIN
Was machst du da?
TOD
(Er zerbricht den Säbel)
Ich mache die Zukunft der Menschen gross...
und lang... lang!
(Vorhang)
Zweite Szene
Tanz-Intermezzo
VII Totentanz
Tempo di Minuetto
(Der leere Kaiserpalast. Ein Schreibtisch, ein grosser Rahmen wie ein Spiegel schwarz verhängt; ein phantastischer Lautsprecher. Kaiser Overall sitzt starr und schreibt)
VIII Rezitativ und Arie
KAISER
(Plötzlich duckt er sich, fährt zusammen und blickt jäh hinter sich. Er ruft ins Telefon)
Wie spät ist es?
LAUTSPRECHER
Fünf Uhr zweiunddreissig;
(Overall richtet seine Uhr)
Hallo, hallo!
Kaiserliche Garde,
Hauptmann der Scharwache.
Der Kordon um den Palast
auftragsgemäss verdreifacht.
KAISER
Scharf geladen?
LAUTSPRECHER
Scharf geladen.
KAISER
Gut.
LAUTSPRECHER
Hallo, hallo!
Bewaffnete Horden, Flugzeuge,
Untererd-Torpedos haben
die Festungsgürtel
der dritten Stadt geschleift.
Die Einwohner sind tot. Leichen wurden
der Verwertungsanstalt übergeben.
KAISER
Wieviel?
LAUTSPRECHER
Zehntausend Kilo Phosphor.
KAISER
Ja!
(dreht eine Nunmer)
Das Landgericht.
LAUTSPRECHER
Hallo, hallo. Landgericht.
KAISER
Der Attentäter?
LAUTSPRECHER
Laut Auftrag gehängt
um vier Uhr dreizehn.
KAISER
Also ist er tot?
LAUTSPRECHER
Der Tod muss jeden Augenblick eintreten.
KAISER
(sieht auf die Uhr; gesprochen)
Was? Muss?
Wann wurde das Urteil vollstreckt?
LAUTSPRECHER
Vier Uhr dreizehn.
KAISER
Jetzt ist 's fünf Uhr fünfunddreissig!
LAUTSPRECHER
Der Tod muss jeden Augenblick eintreten.
KAISER
Seid ihr toll geworden?
Henkt der Henker in zweiundachtzig
Minuten nicht zu Tode?!
LAUTSPRECHER
Der Tod muss jeden Augenblick eintreten.
KAISER
(springt in die Höhe)
Bin ich wahnsinnig geworden?
Rirngt den Tod man aus der Hand mir?
Wer wird in Zukunft mich noch fürchten?
Weigert sich der Tod zu dienen?
Hat sein altes Schwert zerbrochen?
Wer wird dem Imperator von Atlantis
noch gehorchen?!
Hallo, Tod durch Erschiessen!
LAUTSPRECHER
Befehl vollzogen.
KAISER
Nun?!
LAUTSPRECHER
Der Tod muss jeden Augenblick eintreten.
KAISER
(pessimistisch gesprochen)
Was ist das?
Den Arzt.
LAUTSPRECHER
(gesprochen)
Hallo, Arzt!
KAISER
Nun?
LAUTSPRECHER
Er lebt noch.
Eine seltsame Krankheit ist ausgebrochen:
die Soldaten können nicht sterben.
KAISER
Sucht den Erreger dieser Krankheit.
Wieviele starben, seit die Seuche auftrat?
LAUTSPRECHER
Keiner. Tausende ringen mit dem Lehen,
um sterben zu können.
KAISER
Danke.
Werde Verfügungen erlassen.
Hallo, Aussenamt!
Plakate an allen Ecken;
Aufrufe im Rundfunk;
Trommler in den Dörfern.
IX Air Kaiser
Allegro sostenuto
KAISER
Wir, Overall der Einzige,
schenken unsern verdienten Soldaten ein
Geheinnittel zum ewigen Leben.
Wer es besitzt, ist gefeit gegen den Tod,
und keine Wunde und keine Krankheit kann
ihn fortan hemmen, das Schwert für seinen
Herrn und das Vaterland zu führen.
Tod, wo ist dein Stachel?
Hölle, wo ist dein Sieg?!
(Vorhang)
Dritte Szene
(Bubikopf Mädchen, Soldat und Auf dem Schlachtfeld steht ein Mädchen mit auf dem Garon geschnittenen Haaren)
X Récitatif und trio
BUBIKOPF MÄDCHEN
Halt, steh!
SOLDAT
Wer da?
BUBIKOPF MÄDCHEN
Ein Mensch?
SOLDAT
Ein Mensch.
BUBIKOPF MÄDCHEN
Aber ein Feind.
(Sie drückt ihre Pistole ab, er wirft sich zu Boden, sie springt zu ihm; im Glauben, ihn getroffen zu haben. Er schnellt in die Höhe, sie kämpfen, er überwältigt sie)
TROMMLER
(unsichtbar)
Schenken unsern verdienten Soldaten
ein Geheiranittel zum ewigen Leben...
SOLDAT
Welch weisse Haut!
BUBIKOPF MÄDCHEN
Mach ein Ende!
TROMMLER
... ist gefeit gegen den Tod...
SOLDAT
Als ich jung war,
bin ich mal mit einem
Mädel den Fluss entlang gegangen
die hatte Augen, so hell wie du...
BUBIKOPF MÄDCHEN
Ich bin nicht alt genug,
um mich erinnern zu können...
Mach ein Ende!
Der Kaiser hat befohlen zu töten, so tu 's schon!
TROMMLER
(hinter der Szene)
Tod, wo ist dein Stachel!
Hölle, wo ist dein Sieg!
BUBIKOPF
Du musst uralt sein...
Ich verstehe dich nicht.
SOLDAT
Waffen, eisernes Geschmeide,
drücken deine Schultern wund.
Mädel, nein, du sollst nicht leiden!
Liebe tut am Kind sich kund!
So sieh zu, wie alt ich bin.
(Er küsst sie. Sie hebt die Waffen, dann wirft sie sie weg und fliegt in seine Arme)
XIa Aria, L’istesso tempo
BUBIKOPF MÄDCHEN
Ist's wahr, dass es Landschaften gibt,
die nicht von Granattrichtern öd sind?
Ist's wahr, dass es Worte gibt,
die nicht schroff und spröd sind?
Ist's wahr, dass es Wiesen gibt,
die voll Buntheit und Duft sind?
Ist es wahr,dass es Berge gibt,
die blau von strahlender Luft sind?
(Trommler, Bubikopf Mädchen und Soldat)
XI Dúo, Allegro
TROMMLER
(tritt auf)
Komm fort von hier, komm,
geh mit mir! geh mit mir!
BUBIKOPF MÄDCHEN
Komm fort von hier,komm,
geh mit mir! fort von hier!
TROMMLER
Der Kaiser ruft dich, und die Pflicht!
BUBIKOPF MÄDCHEN
Uns doch lockt das ferne Sonnenlicht...
XI b
TROMMLER
Dich ruft der kampf; dich ruft der Tod.
BUBIKOPF MÄDCHEN
Der Tod ist tod,
zu Ende ist die Kriegsgenot!
Aria und trío
Comodo
TROMMLER
Die Trommel, Trommel dröhnt und quarrt,
ein Mann ist nur in die Trommel vernarrt;
Ah! Hat ein glattes Fell wie nur ein Weib,
ist rund um ihren ganzen Leib,
und voll und laut ist ihre Sprach.
Ein Mann läuft nur der Trommel nach!
Ein Mann läuft nur der Trommel nach!
Ein Mann läuft nur der Trommel nach!
BUBIKOPF MÄDCHEN
Nun ist sie erblüht die den Tod
verschönt, die Blume der Liebe,
die alles, die alles versöhnt.
(Der Vorhang fällt, wahrend Bubikopf Mädchen und Soldat einander umschlungend halten, und der Trommler sich entfernt.)
XII Final – Duettino
(Soldat und Bubikopf Mädchen)
BUBIKOPF MÄDCHEN, SOLDAT
Tod und Liebe, kehret wieder,
so ist alles halb getan
und es sind die sanften Lieder,
froh der Gottheit untertan
Schau die Wolken sind vergangen,
die uns lang den Blick vergällt,
und die Landschaft grau verhangen
ist mit einem Mal erhellt
Tiefe Schatten werden lichter,
wenn die sonne golden scheint,
und es wird der Tod zum Dichter,
wenn er sich mit Liebe eint.
Wir, die nie mehr Blut vergiessen,
wollen uns der Liebe weihn
und kein Leid soll uns verdriessen.
Wandern wir den Weg zu zwein!
(Der Vorhang fällt)
XIII Tanz-Intermezzo
Die lebenden Toten
Recitativo
Vierte Szene
(Der Kaiserpalast. Overall am Schreibtisch)
LAUTSPRECHER
Hallo, hallo, der oberste General.
Spital 34 für lebende Tote
von den Empörern um
3 Uhr gestürmt. Ärzte und
Instruktoren liefen in Massen über.
Die Aufrührer haben schwarze
Fahnen und
ein blutigen Pflug im Wappen.
Sie kämpfen ohne Schlachtruf,
stumm und zerbittert.
Die Generalität der 12. Armee
hat ihren Bericht noch nicht übersandt...
KAISER
Was noch?
LAUTSPRECHER
Das ist alles.
KAISER
Gut.
(er schreibt weiter)
XIV Allegretto grazioso
(Harlekin und Trommler)
HARLEKIN
(von Zeit zu Zeit sich umwendend, aus der Versenkung auftauchend)
Wir sind um einen Kreuzer Süsses
zum Kaufmann getrabt,
dem Zirkus nachzulaufen haben wir vorgehabt.
Wir sind im Sommer Steckenpferd geritten!
Wir fuhren auf unsrer
neuen Schultasche Schlitten.
Wir haben unter den Blicken
kleiner Mädchen gezittert,
Wir haben das Unrecht der Welt
mit reinen Gedanken zersplittert.
(Die Tamborilera erscheint, starr und mit einem autoritativen Tonfall)
TROMMLER
Wir Overall, wir Overall,
die Welt ist voll, die Welt ist voll
von unsern Taten.
Wir werden sie, wir werden sie
auf Erden nie, auf Erden sie
aus Angst verraten.
Klug ist gleich närrisch
weise ist gleich toll.
Wir Overall.
HARLEKIN
Schlaf, Kindlein, schlaf,
ich bin ein Epitaph.
Dein Vater ging im Krieg zur Grund,
dein' Mutter frass ihr roter Mund,
schlaf, Kindlein, schlaf.
Spät, Kindlein, spät,
der Mann im Monde mäht.
Er naht das Glück, er mäht es fort
und kömmt die Sonne,
ist's verdorrt;
Dann ziehst du's rote Kleidchen an
und fängst das Lied von vorne an.
(da capo ad libitum)
Recitativo
KAISER
(nach der Wiederholung, ins Telefon, schreiend)
Hallo, Aussenamt.
LAUTSPRECHER
Hallo, Aussenamt.
KAISER
Welche Stationen sind
im Besitz der Aufrührer?
LAUTSPRECHER
57-3 Römisch 8, 26-1
Römisch 5, 52-2 Römisch 2...
KAISER
Ist die Proklamation gedruckt
LAUTSPRECHER
Gedruckt und versandt.
KAISER
Ja.
(Verwirft eine Zahl, es gibt einen Stimmenansturm, die Rede der kaiserlichen Proklamation und einen großen allgemeinen Aufruhr)
LAUTSPRECHER
Ein furchtbarer Arzt hat uns den Star
geschnitten und uns von unserer
Blindheit geheilt. Gross wie der Wahnsinn
unserer Sünden ist die Strafe,
furchtbar die Schmerzen, die wir zu
erleiden haben. Wir wollen sie in Demut
tragen und nicht eher ruhen,
bis wir das letzte Unkraut des Hasses und der
Unversöhnlichkeit ausgerottet
haben werden unseren Herzen. Mit blossen
Händen werden wir die stählernen
Schanzen des Teufels niederreissen...
(Overall schalten Sie das Radio abrupt. Er fährt fort zu schreiben und ihre Berechnungen wie in einem Traum Semi-Delirio. Es steigt stark an und läuft in das Proscenium)
XV Trio, Shimmy, Vivace ma non troppo presto
HARLEKIN
Nicht dran denken.
Ha ha ha ha, nicht dran denken.
Hallo, hallo. Ja, er hat sich
mit Mauern umgeben.
Hallo, hallo. Wie sieht ein Mensch aus?
Ja, wie sieht ein Mensch aus?
Bin ich denn noch ein Mensch?
Die Rechenmaschine Gottes.
Bin ich ein Mensch? Ein Maisch?
TROMMLER
Nicht dran denken, nicht dran denken
Hallo. Ja, er hat sich mit fensterlosen Mauern,
mit Mauern umgeben
Hallo, hallo! Wie sieht ein Mensch aus?
Seit Jahren ist der Spiegel verhangen!
Die Rechaimaschine Gottes?
Bin ich ein Mensch, bin ich ein Mensch?
KAISER
5, 6, 7, 8, 9, 10, 100.
Fünf, sechs, sieben acht, neun,
zehn, hundert, tausend Bomben, eine Million
Kanonen. Ich habe mich mit fensterlosen
Mauern umgeben. Auch dieser Posten
im Kalkül! Wie sieht ein Mensch aus?
Bin ich denn noch ein Mensch oder die
Rechenmaschine Gottes.
Bin ich denn noch ein Mensch?
Oder die Rechenmaschine Gottes?
(Overall reisst das Tuch vcm Spiegel. Hinter dem Rahmen steht das Spiegelbild, der Tod. Overall steht vor dem Spiegel, will ihn wieder verhängen)
TROMMLER, HARLEKIN
Ein lebendiger Tod!
OVERALL
Wer bist du?
XVI Air - Tod
Andante
TOD
Ich bin der Tod, der Gärtner Tod
und säe Schlaf in schmerzgepflügte Spuren.
Ich bin der Tod, der Gärtner Tod,
und jäte welkes Unkraut müder Kreaturen.
Ich bin der Tod, der Gärtner Tod,
und mähe reifes Korn des Leidens auf den Fluren.
Bin der, der von der Pest befreit
und nicht die Pest.
Ich bin derjenige, der vom Leiden befreit,
aber nicht derjenige, der leiden macht.
Ich bin das weiche und warme Nest,
in dem das von Angst verfolgte
Leben Zuflucht nimmt
Ich bin das wohlig warme Nest,
wohin das angstgehetzte Leben flieht.
Ich bin das grösste Freiheitsfest.
Ich bin letzte Schlummerlied.
Still ist und friedvoll mein gastlich Haus...
Kömmet, ruhet aus.
Der Krieg ist vorbei!
XVII Dialogue
(Kaiser, Trommler und Tod)
KAISER
So kehrst du uns wieder.
Wir Menschen können nicht ohne dich leben
TOD
Ich will versöhnt sein, wenn du das
Opfer bringen kann, als erster den neuen
Tod zu leiden.
KAISER
Ich hätte die Kraft zu diesen Opfer,
aber der Menschen verdienen es nicht...
TOD
So kann ich nicht zu euch zurückkehren.
KAISER
Soll ich mich weigern zu erleben,
worum dich alle Leidenden bitten?
Ich will es tun!
TOD
Gib mir deine Hand darauf.
Der Krieg ist aus.
XVIII Der Abschied des Kaisers
Andante moderato
KAISER
I
Der Krieg ist aus, das sagst du so mit Stolz.
Nur dieser Krieg, dieser Krieg ist aus. Der letzte?
Weisse Fahnen werden flattern
und die Kirchenglocken
werden festlich läuten,
und die Toren werden tanzen,
singen, springen.
Ach, wie lange nur, gedämpft
ist nur Feuer, nicht gelöscht!
Bald flammt es wieder hoch,
bald flammt es wieder hoch.
Von neuem rast der Mord
und ich ersehnte Grabesruh.
Oh, war mein Werte geglücket,
von dieser Fessel
Mensch befreit, dehnt sich
das Land mit ungemähten Feldern.
Ach waren wir verdorrt!
Die Wälder wachsen frei,
die wir nur lähmen,
keiner wehrt dem
Wasser seinen
Weg zu strömen;
Tod kommt wie Hunger,
Liebe, Leben!
Manchmal Wolken, manchmal
Blitz, doch nie mehr Mord.
In deiner Hand liegt unser Leben, nimm 's fort,
II
Von Allem, was geschieht, ist eines nur,
wovor der Götter Lächeln
nicht besteht: der Abschied.
(zum Trommler)
Noch ist wie von ewig her um uns die Stunde,
noch ruht deine Hand in meiner
und mein dunkles Leben
fühlt durch sie das seine,
Weine nicht um mich!
Ich folge den frohen Erregung nach,
wohin nicht, sag' ich dir, wohin nicht, sag' ich dir.
Doch leise ist in mir noch
Hoffnung später Wiederkehr.
Es werden Flüsse kommen und Gebirg
wird um mich sein. Auf hohen Wiesen wird
in Sonn' und hartem Wind
die Blume blühen.
Es fällt, wo du nicht bist, der Schnee.
Es strömt, wo du nicht bist,
der Sommerregen aus.
Wo du nicht bist, ist viel.
Und wie du denkst: jetzt tritt
ein Kind zum Brunnen,
steht vor einem Schmied
ein Pferd und wird beschlagen
so gedenkt auch meiner ohne Klagen.
Denn ist das Ferne nicht beklagenswert,
vielmehr das Nahe,
das in ewigen Schatten ruht.
(Der Tod nimmt den Kaiser sanft bei der Hand und führt ihn durch den Spiegel ab, während man hinter die Szene den Choral hört)
XVIII Finale
Largo semplice, dolce graziozo
BUBIKOPF MÄDCHEN, TROMMLER, LAUTSPRECHER, HARLEKIN
Komm Tod, du unser werter Gast,
in unsres Herzens Kammer,
führ uns zur Rast nach Schmerz
und Jammer
Lehr uns Lebens Leid und Not
in unsern Brüdern ehren.
Lehr uns das heiligste Gebot:
Du sollst den grossen
Namen Tod
nicht eitel beschwören.
(Der Vorhang fällt)