I. AKT / ACT1
Nr.1
Der große Chor:
Wichtig zu lernen vor allem ist Einverständnis.
Viele sagen ja, und doch ist da kein Einverständnis.
Viele werden nicht gefragt, und viele sind einverstanden mit Falschem.
Darum: Wichtig zu lernen vor allem ist Einverständnis.
Nr.2
Der Lehrer:
Ich bin der Lehrer.
Ich habe eine Schule in der Stadt
und habe einen Schüler,
dessen Vater tot ist.
Er hat nur mehr seine Mutter,
die für ihn sorgt.
Jetzt will ich zu ihnen gehen
und ihnen Lebewohl sagen,
denn ich begebe mich in Kürze
auf eine Reise in die Berge.
Darf ich eintreten?
Der Knabe:
Wer ist da?
Oh, der Herr Lehrer ist da,
der Herr Lehrer kommt, um uns zu besuchen!
Der Lehrer:
Warum bist du so lange nicht zur Schule in die Stadt gekommen?
Der Knabe:
Ich konnte nicht kommen, weil meine Mutter krank war.
Der Lehrer:
Das wußte ich nicht.
Bitte, sag ihr gleich, daß ich hier bin.
Der Knabe:
Mutter, der Herr Lehrer ist da.
Die Mutter:
Bitte ihn, hereinzukommen.
Der Knabe:
Bitte, treten Sie ein.
Nr.3
Der Lehrer:
Ich bin lange nicht hier gewesen.
Ihr Sohn sagt, Sie seien krank gewesen.
Geht es Ihnen jetzt besser?
Die Mutter:
Machen Sie sich keine Sorgen wegen meiner Krankheit,
sie hatte keine bösen Folgen.
Der Lehrer:
Das freut mich zu hören.
Ich komme, um Ihnen Lebewohl zu sagen,
denn ich begebe mich in Kürze
auf eine Forschungsreise in die Berge.
Denn in der Stadt jenseits der Berge
wohnen die großen Lehrer.
Die Mutter:
Eine Forschungsreise in die Berge!
Ja, in der Tat, ich habe gehört,
daß dort die großen Ärzte wohnen,
aber ich habe auch gehört,
daß es eine gefährliche Wanderung ist.
Wollen Sie etwa mein Kind mitnehmen?
Der Lehrer:
Das ist keine Reise, auf die man ein Kind mitnimmt.
Die Mutter:
Ich hoffe, Sie kehren gesund zurück.
Der Lehrer:
Jetzt muß ich gehen. Leben Sie wohl.
Der Knabe, Die Mutter:
Leben Sie wohl!
Nr.4
Der Knabe:
Ich muß etwas sagen.
Der Lehrer:
Was willst du sagen?
Der Knabe:
Ich will mit Ihnen in die Berge gehen.
Der Lehrer:
Wie ich deiner Mutter schon sagte,
ist es eine schwierige und gefährliche Reise.
Du wirst nicht mitkommen können.
Außerdem: Wie kannst du deine Mutter verlassen wollen,
die doch krank ist?
Bleibe hier.
Es ist ganz unmöglich, daß du mitkommst.
Der Knabe:
Eben weil meine Mutter krank ist,
will ich mitkommen, um für sie
bei den großen Ärzten in der Stadt jenseits der Berge
Medizin zu holen und Unterweisung.
Der Lehrer:
Ich muß noch einmal mit deiner Mutter reden.
Nr.5
Der Lehrer:
Ich bin noch einmal zurückgekommen.
Ihr Sohn sagte, daß er mit uns gehen will.
Ich sagte ihm, daß er Sie doch nicht verlassen könne,
wenn Sie krank sind,
daß es eine schwierige Reise sei.
Er könne ganz unmöglich mit uns kommen, sagte ich.
Aber er sagte, er müsse mit,
um fur Ihre Krankheit in der Stadt jenseits der Berge
Medizin zu holen und Unterweisung.
Die Mutter:
Ich habe seine Worte gehört.
Ich zweifle nicht an dem, was der Knabe sagt -
daß er gern mit Ihnen die gefährliche Wanderung machen will.
Komm herein, mein Sohn!
Seit dem Tag, an dem uns dein Vater verließ,
hab ich niemanden als dich zur Seite.
Du warst nie länger aus meinem Gedächtnis
und aus meinen Augen, als ich brauchte,
um dein Essen zu bereiten, deine Kleider zu richten
und das Geld zu beschaffen.
Der Knabe:
Alles ist, wie du sagst.
Aber trotzdem kann mich nichts
von meinem Vorhaben abbringen.
Der Knabe, die Mutter, Der Lehrer:
Ich werde (er wird) die gefährliche Wanderung machen
und für deine (meine, ihre) Krankheit in der Stadt jenseits der Berge
Medizin holen und Unterweisung.
Nr.6
Der große Chor:
Sie sahen,
daß keine Vorstellungen ihn rühren konnten.
Da sagten der Lehrer und die Mutter mit einner Stimme:
Der Lehrer, die Mutter:
Oh, welches tiefe Einverständnis!
Viele sind einverstanden mit Falschem,
doch er ist nicht einverstanden mit der Krankheit,
sondern daß die Krankheit geheilt wird.
Der große Chor:
Die Mutter aber sagte:
Die Mutter:
Ich habe keine Kraft mehr.
Wenn es sein muß, geh mit dem Herrn Lehrer.
Aber schnell aber schnell,
kehre aus der Gefahr zurück.
Reminiszenz Nr.1
Nr.7
Der große Chor:
Die Leute haben die Reise in die Berge angetreten.
Unter ihnen befand sich der Lehrer und der Knabe.
Der Knabe war den Anstrengungen nicht gewachsen:
Er überanstrengte sein Herz, das die schnelle Heimkehr verlangte.
Im Morgengrauen am Fuße der Berge
konnte er kaum seine müden Füße mehr schleppen.
Nr.8
Der Lehrer:
Wir sind schnell hinangestiegen.
Dort ist die erste Hütte.
Dort wollen wir ein wenig verweilen.
Die drei Studenten:
Wir gehorchen.
Der Knabe:
Ich muß etwas sagen.
Der Lehrer:
Was willst du sagen?
Der Knabe:
Ich fühle mich nicht wohl.
Der Lehrer:
Halt! Solche Dinge dürfen nicht sagen, die auf eine solche Reise gehen.
Vielleicht bist du müde, weil du das Steigen nicht gewohnt bist
Bleib ein wenig stehen und ruhe ein wenig.
Die drei Studenten:
Es scheint, daß der Knabe krank ist vom Steigen.
Wir wollen den Lehrer darüber befragen,
Der große Chor:
Ja. Tut das!
Die drei Studenten:
Wir hören, daß dieser Knabe krank ist vom Steigen.
Was ist mit ihm? Bist du besorgt seinetwegen?
Der Lehrer:
Er fühlt sich nicht wohl,
aber sonst ist alles mit ihm in Ordnung!
Er ist nur müde vom Steigen.
Er blieb ein wenig stehen
und ruht ein wenig aus.
Die drei Studenten:
So bist du also nicht besorgt seinetwegen? -
Hört ihr? Der Lehrer hat gesagt,
daß der Knabe nur müde sei vom Steigen.
Aber sieht er nicht ganz seltsam aus?
Gleich nach der Hütte kommt der schmale Grat
Nur mit beiden Händen zufassend an der Felswand kommt man hinüber.
Wir können keinen tragen.
Sollten wir also dem großen Brauche folgen und ihn ins Tal hinabschleudern? -
Bist du krank vom Steigen?
Der Knabe:
Nein.
Ihr seht, ich stehe doch.
Würde ich mich nicht setzen,
wenn ich krank ware?
Nr.9
Die drei Studenten:
Wir wollen es dem Lehrer sagen.
Als wir vorhin nach dem Knaben fragten,
sagtest du, er sei nur müde vom Steigen.
Aber jetzt sieht er ganz seltsam aus.
Er hat sich auch gesetzt.
Wir sprechen es mit Entsetzen aus,
seit alters her herrscht hier ein Brauch:
die nicht weiter können,
werden ins Tal hinabgeschleudert.
Der Lehrer:
Was, ihr wollt dieses Kind ins Tal hinabwerfen?
Die drei Studenten:
Ja, das wollen wir.
Der Lehrer:
Das ist ein großer Brauch.
Ich kann mich ihm nicht widersetzen.
Aber der Brauch schreibt auch vor,
daß man den, welcher krank wird,
befragt, ob man umkehren soll seinetwegen.
Ich trage in meinem Herzen großes Leid um diesen Knaben.
Ich will zu ihm gehen
und ihm schonend von dem großen Brauch berichten.
Der große Chor:
Ja, tue das.
Die drei Studenten, Der große Chor:
Wir wollen ihn fragen, ob er verlangt,
daß man umkehrt seinetwegen.
Aber auch, wenn er’s verlangt,
wollen wir nicht umkehren,
sondern ihn ins Tal hinabwerfen.
Nr.10
Der Lehrer:
Höre gut zu!
Seit alters her besteht ein Gesetz,
daß der, welcher krank wird auf einer solchen Reise,
ins Tal hinabgeworfen werden muß.
Er ist sofort tot.
Aber der Brauch schreibt auch vor,
daß man den, welcher krank wird,
befragt, ob man umkehren soll seinetwegen.
Und der Brauch schreibt auch vor,
daß der, welcher krank wird,
antwortet:
Ihr sollt nicht umkehren.
Der Knabe:
Ich verstehe.
Der Lehrer:
Verlangst du, daß man umkehrt deinetwegen?
Der Knabe:
Ihr sollt nicht umkehren!
Der Lehrer:
Verlangst du also, daß dir geschieht, wie allen geschieht?
Der Knabe:
Ja.
Der Lehrer:
Kommt herunter! Er hat ja gesagt,
er hat dem Brauch gemäß geantwortet!
Die drei Studenten:
Er hat ja gesagt,
er hat dem Brauch gemäß geantwortet.
Lehne deinen Kopf an unsern Arm.
Strenge dich nicht an.
Wir tragen dich vorsichtig.
Der Knabe:
Ich wußte wohl,daß ich auf dieser Reise
mein Leben verlieren könnte.
Der Gedanke an meine Mutter
hat mich verführt zum Reisen.
Nehmt meinen Krug,
füllt ihn mit der Medizin,
bringt ihn meiner Mutter,
wenn ihr zurückkehrt.
Der große Chor:
Da nahmen die Freunde den Krug
und beklagten die traurigen Wege der Welt
und ihr bitteres Gesetz
und warfen den Knaben hinab.
Fuß an Fuß zusammengedrängt,
standen sie am Rande des Abgrunds
und warfen ihn hinab mit geschlossenen Augen,
keiner schuldiger als sein Nachbar,
und warfen Erdklumpen und flache Steine hinterher.
Reminiszenz Nr.1