DRITTES BILD
Vorspiel
Das Knusperhäuschen
Szene wie am Schlusse des 2. Bildes.
Der Hintergrund noch von Nebel verhüllt, der sich während des Folgenden langsam verzieht.
Die Engel sind verschwunden. Der Morgen bricht an.
Taumännchen tritt auf und schüttelt aus einer Glockenblume Tautropfen auf die schlafenden Kinder.
TAUMÄNNCHEN
Der kleine Taumann heiss' ich,
und mit der Sonne reis' ich,
von Ost bis Westen weiss ich,
wer faul ist und wer fleissig,
kling! klang! kling! klang!
Ich komm' mit gold'nem Sonnenschein
und strahl' in eure Äugelein,
und weck' mit kühlem Taue,
was schläft auf Flur und Aue,
dann springet auf, wer munter
in früher Morgenstunde,
denn sie hat Gold im Munde;
drum auf, ihr Schläfer, erwachet!
Der lichte Tag schon lachet,
drum auf, ihr Schläfer, erwacht, erwacht!
(Eilt singend davon.)
(Die Kinder regen sich. Gretel reibt sich die Augen, blickt um sich und richtet sich ein wenig auf während Hänsel sich auf die andere Seite legt, um weiter zu schlafen.)
GRETEL
Wo bin ich? Wach' ich? Ist es ein Traum?
Hier lieg' ich unterm Tannenbaum!
Hoch in den Zweigen da lispelt es leise,
Vöglein singen so süsse Weise,
wohl früh schon waren sie aufgewacht
und haben ihr Morgenliedchen dargebracht.
Ihr lieben Vöglein, liebe Vöglein,
guten Morgen!
(Sie wendet sich zu Hänsel.)
Sich da, der faule Siebenschläfer!
Wart nur, dich weck' ich!
Ti-re-li-re-li, 's ist nicht mehr früh!
Ti-re-li-re-li, 's ist nicht mehr früh!
Die Lerche hat's gesungen
und hoch sich aufgeschwungen.
Ti-re-li-re-li
(usw.)
HÄNSEL
(Plötzlich mit einem Satze in die Höhe springend)
Ki-ke-ri-ki! 's ist noch früh!
Ki-ke-ri-ki! 's ist noch früh!
Ja, hab's wohl vernommen:
Der Morgen ist gekommen!
GRETEL
Ti-ti-ti-ti-ti-re-li-re usw.
HÄNSEL
Ki-ke-ri-ki! Ü-ü-ü-ü-ü
(usw.)
Mir ist so wohl, ich weiss nicht wie!
So gut wie heute schlief ich noch nie!
GRETEL
Doch höre nur: Hier, unterrn Baum,
hatt' ich 'nen wunderschönen Traum!
HÄNSEL
(nachdenklich)
Richtig! Auch mir träumte was!
GRETEL
Mir träumte, ich hör' ein Rauschen und Klingen,
wie Chöre der Engel ein himmlisches Singen.
Lichte Wölkchen in rosigem Schein
wallten und wogten ins Dunkel hinein.
Siehe: Helle ward's mit einem Male,
licht durchflossen vom Himmetsstrahle,
eine gold'ne Leiter sah ich sich neigen,
Engel hernieder steigen,
gar holde Englein mit gold'nen Flügelein.
HÄNSEL
(sie lebaft unterbrechend)
Vierzehn müssen's gewesen sein!
GRETEL
(erstaunt)
Hast du denn alles dies auch gesehen?
HÄNSEL
Freilich, 's war wunderschön!
Und dorthin sah ich sie gehn.
(Hänsel wendet sich nach dem Hintergrunde: In diesem Augenblicke zerreisst der letzte Nebelschleier. An Stelle des Tannengehölzes erscheint glitzernd im Strahle der aufgegangenen Sonne das "Knusperhäuschen" am Ilsensteine. Links davon in einiger Entfernung befindet sich ein Backofen. Diesem rechts gegenüber ein grosser Käfig, beide mit dem Knusperhäuschen durch einen Zaun von Kuchenmännern verbunden.)
GRETEL
(hält Hänsel betroffen zurück)
Bleib stehn, bleib stehn!
HÄNSEL
(überrascht)
O Himmel, welch Wunder ist hier geschehn?
Nein, so was hab' ich mein Tag nicht gesehn!
(Beide blicken wie verzaubert auf das Knusperhäuschen.)
GRETEL
(gewinnt allmählich die Fassung wieder)
Wie duftet's von dorten,
o schau nur diese Pracht,
Von Kuchen und Torten ...
(mit HÄNSEL zusammen)
... ein Häuslein gemacht,
mit Fladen und Torten
ist's hoch überdacht,
die Fenster wahrhaftig,
wie Zucker so blank,
Rosinen gar saftig
den Giebel entlang,
und traun! rings zu schau'n
gar ein Lebkuchenzaun!
O herrlich Schlösschen,
wie bist du schmuck und fein,
Welch Waldprinzesschen
mag da wohl drinnen sein?
Ach, wär' doch zu Hause
Waldprinzessin fein,
sie lüde zum Schmause
bei Kuchen und Wein,
zum herrlichsten Schmause
uns beide freundlich ein,
uns freundlich ein, uns freundlich ein!
HÄNSEL
Alles bleibt still, nichts regt sich da drinnen!
Komm, lass uns hineingehn!
GRETEL
(ihn erschrocken zurückhaltend)
Bist du bei Sinnen?
Junge, wie magst du so dreist nur sein?
Wer weiss, wer da drin wohl im Häuschen fein?
HÄNSEL
O sieh nur, sieh, wie das Häuslein uns lacht!
Ha! Die Englein haben's uns hergebracht!
GRETEL
(sinnend)
Die Englein? Ja, so wird es wohl sein!
HÄNSEL
Ja, Gretel, sie laden freundlich uns ein!
Komm, wir knuspern ein wenig vom Häuschen!
BEIDE
Komm, ja knuspern wir,
komm, ja knuspern wir wie zwei Nagemäuschen!
(Sie hüpfen Hand in Hand nach dem Hintergrunde, bleiben wiederum stehen und schleichen dann vorsichtig auf den Fussspitzen bis an das Häuschen. Nach einigem Zögern bricht Hänsel an der rechten Kante ein Stückchen Kuchen heraus.)
Eine STIMME aus dem Häuschen
Knusper, knusper Knäuschen, wer knuspert mir am Häuschen?
(Hänsel stutzt und lässt erschrocken das Stückchen Kuchen fallen.)
HÄNSEL
Hast du's gehört?
GRETEL
(etwas zaghaft)
Der Wind....
HÄNSEL
... der Wind....
BEIDE
... das himmlische Kind!
GRETEL
(hebt das Stück Kuchen wieder auf und versucht es)
Hm!
HÄNSEL
(Gretel begehrlich anschauend)
Wie schmeckt das?
GRETEL
(lässt Hänsel beissen)
Da hast du auch was!
HÄNSEL
(legt entzückt die Hände auf die Brust)
Hei!
GRETEL, HÄNSEL
Hei!
(usw.)
O köstlicher Kuchen,
wie schmeckst du nach mehr!
Mir ist ja, als wenn
ich im Himmel schon wär!
HÄNSEL
Ha, wie das schmeckt!
GRETEL
's ist gar zu lecker!
HÄNSEL
Wie süss!
GRETEL
Wie köstlich!
HÄNSEL
Ha....
GRETEL
Wie süss!
HÄNSEL
... wie lecker!
GRETEL
Vielleicht hier wohnt gar ein Zuckerbäcker!
HÄNSEL
He, Zuckerbäcker! Nimm dich in Acht!
Ein Loch wird dir jetzt vom Mäuslein gemacht!
(Er bricht ein grosses Stück Kuchen aus der Wand.)
Die STIMME aus dem Häuschen
Knusper, knusper Knäuschen, wer knuspert mir am Häuschen?
GRETEL, HÄNSEL
Der Wind, der Wind, das himmlische Kind!
(Der obere Teil der Haustüre öffnet sich leise und der Kopf der Knusperhexe wird sichtbar Die Kinder bemerken sie nicht und schmausen lustig weiter Dann öffnet sie vollends die Tür, schleicht behutsam auf die Kinder zu und wirft Hänsel, der ihr ahnungslos den Rücken wendet, einen Strick um den Hals.)
GRETEL
Wart, du näschiges Mäuschen,
gleich kommt die Katz' aus dem Häuschen'
HÄNSEL
(weiter kauend)
Knusp're nur zu
und lass mich in Ruht
GRETEL
(reisst ihm das Stück aus der Hand)
Nicht so geschwind,
Herr Wind, Herr Wind!
HÄNSEL
(nimmt es ihr wieder)
Himmlisches Kind, ich nehm', was ich find!
GRETEL, dann HÄNSEL
(lachend)
Ha ha ha
(usw.)
KNUSPERHEXE
(grell lachend)
Hi hi, hi hi
(usw.)
HÄNSEL
(entsetzt)
Lass los! Wer bist du? Lass mich los!
HEXE
(die Kinder an sich ziehend)
Engelchen!
Und du mein Bengelchen!
(Sie streichelt die Kinder.)
Ihr kommt mich besuchen? Das ist nett!
Ihr lieben Kinder, so rund und fett!
HÄNSEL
(macht verzweifelte Anstrengungen, sich loszumachen)
Wer bist du, Garstige? Lass mich los!
HEXE
Na, Herzchen, zier' dich nicht erst gross!
Wisst denn, dass euch vor mir nicht graul'.
Ich bin Rosine Leckermaul,
höchst menschenfreundlich stets gesinnt,
unschuldig, wie ein kleines Kind!
Drum hab' ich die kleinen Kinder so lieb!
so lieb, so lieb, ach! zum Aufessen lieb!
(Sie streichelt Hänsel)
HÄNSEL
Geh, bleib mit doch aus dem Gesicht!
(Er stampft mit dem Fusse)
Hörst du, ich mag dich nicht!
HEXE
(grell lachend)
Was seid ihr für leckere Teufelsbrätchen,
besonders du, mein herziges Mädchen!
Kommt, kleine Mäuslein,
kommt in mein Häuslein!
Ihr sollt's gut bei mir haben,
will drinnen köstlich euch laben!
Schokolade, Torten, Marzipan,
Kuchen, gefüllt mit süsser Sahn',
Johannisbrot und Jungfernleder,
und Reisbrei, auf dem Ofen steht er,
Rosinen und Feigen
und Mandeln und Datteln sich zeigen:
's ist alles im Häuschen eu'r eigen,
ja, alles eu'r eigen!
HÄNSEL
Ich geh' nicht mit dir, garstige Frau!
GRETEL
Du bist gar zu freundlich!
HEXE
Schau, schau!
Schau, wie schlau!
Ihr Kinder, ich mein's ja so gut mit euch,
ihr seid ja bei mir wie im Himmelreich!
Kommt, kleine Mäuslein,
kommt in mein Häuslein!
Ihr sollt's gut bei mir haben,
will drinnen ...
GRETEL
So sprich: Was willst du ...
HEXE
... köstlich euch laben.
GRETEL
... meinem Bruder tun?
HEXE
I nun...
Ich will ihn futtern und nudeln,
mit allerhand vortrefflichen Sachen
ihn zart und wohlschmeckend machen.
Und ist er dann nicht zahm, und brav,
und fügsam und geduldig wie ein Schaf,
dann, Hänsel, ich sag' dir's in's Ohr,
dir steht eine grosse Freude bevor!
HÄNSEL
So sag's, doch laut und nicht ins Ohr: ...
HEXE
He?
HÄNSEL
Welch grosse Freude steht mir bevor?
HEXE
Ja, liebe Kinder, Hören und Sehn
wird euch bei diesem Vergnügen vergehn!
HÄNSEL
Ei, meine Augen und Ohren sind gut!
Haben wohl acht, was Schaden mir tut!
(entschlossen)
Gretel, trau nicht dem gleissenden Wort!
Komm, Schwesterchen, wir laufen fort.
(Er hat sich mittlerweile von der Schlinge befreit und läuft mit Gretel zum Vordergrunde. Hier werden sie von der Hexe zurückgehalten, die gebieterisch ein am Gürtel hängendes Stäbchen mit wiederholten Gebärden des Festbannens gegen die beiden erhebt.)
HEXE
Halt!
(Die Bühne verfinstert sich allmählich.)
Hokus pokus, Hexenschuss!
Rühr' dich und dich trifft der Fluss!
Nicht mehr vorwärts, nicht zurück?
Bann' dich mit dem bösen Blick!
Kopf steh starr dir im Genick!
(Der Knopf des Stäbchens beginnt intensiv zu leuchten.)
Hokus pokus, nun kommt jocus:
Kinder, schaut den Zauberknopf,
Äuglein stehet still im Kopf!.
Nun zum Stall hinein, du Tropf.
(Neue Gebärde; dann leitet sie Hänsel, dessen Blick starr auf den leuchtenden Knopf gerichtet ist, zum Stalle und schliesst hinter ihm die Gittertüre.)
Hokus pokus, bonus jocus,
malus tocus, hokus pokus!
Bonus jocus, malus locus!
(Allmählich erhellt sich die Bühne wieder, während der Glanz des Zauberknopfes abnimmt.)
Hokus pokus, bonus jocus,
malus locus, hokus pokus!
(Vergnügt zu Gretel, die noch immer regungslos dasteht)
Nun Gretel, sei vernünftig und nett,
der Hänsel wird nun balde fett.
Wir wollen ihn, so ist's am besten,
mit süssen Mandeln und Rosinen mästen.
Ich geh' ins Haus und hole sie schnell,
du rühre dich nicht von der Stell'!
(Sie droht grinsend mit dem Finger und geht ins Haus.)
GRETEL
(starr und unbeweglich)
Hu! Wie mir vor der Hexe graut!
HÄNSEL
(hastig flüsternd)
Gretel, pst! sprich nicht so laut!
Sei hübsch gescheit und gib fein acht
auf jedes, was die Hexe macht.
Zum Schein tu alles, was sie will -
da kommt sie schon zurück - pst! still!
(Die Hexe kommt hervor, überzeugt sich, ob Gretel noch stille steht, worauf sie dem Hänsel aus einem Korb Mandeln und Rosinen hinstreut.)
HEXE
Nun, Jüngelchen,
ergötze dein Züngelchen!
(Steckt Hänsel eine Rosine in den Mund.)
Friss, Vogel, oder stirb!
Kuchenheil dir erwirb!
(Sie wendet sich zu Gretel und entzaubert sie mit einem Wacholder.)
Hokus pokus Holderbusch!
Schwinde Gliederstarre, husch!
(Gretel rührt sich wieder.)
Nun wieder kregel, süsses Kleinchen,
rühr mir geschwind die runden Beinchen!
Geh, mein Püppchen, flink und frisch,
decke drinnen hübsch den Tisch:
Schüsselchen, Tellerchen, Messerchen, Gäbelchen,
Serviettchen für mein Schnäbelchen;
nun mach alles recht hurtig und fein,
sonst sperr' ich dich auch in den Stall hinein!
(Sie droht kichernd; Gretel eilends ab.)
Hi hi hi hi hi hi!
(zu dem sich schlafend stellenden Hänsel)
Der Lümmel schläft ja, nun sieh mal an,
wie doch die Jugend schlafen kann!
Na, schlaf nur brav, du gutes Schaf,
bald schläfst du deinen ew'gen Schlaf.
Doch erst die Gretel muss mir dran,
mit dir, mein Mädel, fang' ich an;
bist so niedlich, zart und rund,
wie gemacht für Hexenmund!
(Sie öffnet die Backofentüre und riecht hinein, wobei ihr Gesicht grell von dunkelrotem Feuerschein beleuchtet wird.)
Der Teig ist gar, wir können voran machen.
Hei, wie im Ofen die Scheite krachen!
(Sie schiebt noch ein paar Scheite unter,- die Flammen schlagen hoch hinaus und sinken wieder zusammen. Die Hexe, vergnügt, reibt sicb die Hände.)
Ja, Gretelchen,
wirst bald ein Brätelchen!
Schau, schau!
Schau, wie schlau!
Sollst gleich im Backofen hucken,
und nach den Lebkuchen gucken!
Bist du dann drin, schwaps!
geht die Tür,
Dann ist fein Gretelchen
mein Brätelchen!
Das Brätlein, das soll sich verwandeln
in Kuchen mit Zucker und Mandeln!
Im Zauberofen mein
wirst du ein Lebkuchen fein!
Schau, schau, wie schlau!
Hi hi, hi hi
(usw.)
(In wilder Freude ergreift sie einen Besen und setzt sich rittlings darauf.)
Hurr hopp hopp hopp,
Galopp lopp lopp,
mein Besengaul,
hurr hopp nit faul!
(Sie reitet ausgelassen auf dem Besen umher.)
So wie ich's mag,
am lichten Tag
spring' kreuz und quer
um's Häuschen her!
(Sie reitet wieder. Gretel steht währenddem lauschend am Fenster.)
Bei dunkler Nacht,
wenn niemand wacht,
zum Hexenschmaus
am Schornstein raus!
Aus fünf und sechs,
so sagt die Hex',
mach sieb'n und acht,
so ist's vollbracht,
und neun ist eins
und zehn ist keins
und viel ist nichts,
die Hexe spricht's!
So reitet sie bis morgens früh!
(Mit tollen Sprüngen reitet sie dem Hintergrunde zu und verschwindet zeitweilig hinter dem Knusperhäuschen. Wiederum sichtbar geworden, kommt die Hexe zum Vordergrunde, wo sie plötzlich anhält und absteigt.)
Prr! Besen, hüh!
(Sie hinkt zum Stalle zurück und kitzelt Hänsel mit einem Besenreis wach.)
Auf, wach auf, mein Jüngelchen,
zeig mir dein Züngelchen!
(Hänsel streckt die Zunge heraus.)
Schlicker, schlecker! Mm, mm, mm!
Lecker, lecker! Mm, mm, mm!
Kleines leckeres Schlingelchen,
zeig mir dein Fingerchen!
(Hänsel steckt ein Stöckchen heraus.)
Jemine! O je!
wie ein Stöckchen, o weh!
Bübchen, deine Fingerchen
sind elende Dingerchen!
(rufend)
Mädel! Gretel!
(Gretel zeigt sich an der Türe.)
Bring Rosinen und Mandeln her,
Hänsel meint, es schmeckt nach mehr!
(Gretel springt ins Haus und kehrt alsbald mit einem Körbchen voll Rosinen und Mandeln zurück.)
GRETEL
Da sind die Mandeln!
(Sie stellt sich, während die Hexe den Hänsel füttert, hinter sie und macht mit dem Wacholder die Entzauberungsgebärde.)
(leise)
Hokus pokus Holderbusch,
schwinde Gliederstarre, husch!
HEXE
(sich rasch umwendend)
Was sagtest du, mein GänseIchen?
(Hänsel regt sich wieder.)
GRETEL
(etwas verwirrt)
Meint' nur: Wohl bekomm's, mein Hänselchen!
HEXE
He?
GRETEL
(lauter)
Wohl bekomm's, mein Hänselchen!
HEXE
Hi hi hi! Mein gutes Tröpfchen,
da steck dir was ins Kröpfchen!
(Steckt Greteln eine Rosine in den Mund.)
Friss, Vogel, oder stirb!
Kuchenheil die erwirb!
(Sie öffnet die Backofentüre, die Glut hat scheinbar etwas nachgelassen. Hänsel gibt Greteln währenddessen lebhafte Zeichen.)
HÄNSEL
(leise die Stalltüre öffnend)
Schwesterlein, hüt dich fein!
HEXE
(Gretel gierig betrachtend)
Wie wässert mir das Mündchen
nach diesem süssen Kindchen!
Komm, Gretelchen,
Zuckermädelchen!
(Gretel tritt heran.)
Sollst in den Backofen hucken
und nach den Lebkuchen gucken.
Sorgfältig schaun, ja!
ob sie schon braun da,
oder ob's zu früh
's ist kleine Müh'!
(Gretel zaudert.)
HÄNSEL
(aus dem Stalle schleichend)
Schwesterlein, hüt' dich fein!
GRETEL
(sich ungeschickt stellend)
Ei, wie fang' ich's an,
dass ich komme dran?
HEXE
Musst dich nur eben
ein bisschen heben!
Kopf vorgebeugt,
's ist kinderleicht!
HÄNSEL
(Gretel am Kleide zurückhaltend)
Schwesterlein, hüt' dich fein!
GRETEL
(schüchtern)
Bin gar so dumm,
nimm mir's nicht krumm!
Drum zeig mir eben:
Wie soll ich mich denn heben?
HEXE
(macht eine ungeduldige Bewegung)
Kopf vorgebeugt,
's ist kinderleicht!
(Sie schickt sich murrend an, in den Backofen au kriechen, indem sie sich mit halbem Leibe vorbeugt, geben ihr Hänsel und Gretel einen derben Stoss, so dass sie vollends hineinfliegt, und schlagen dann rasch die Tür zu.)
GRETEL, HÄNSEL
(ihr nachspottend)
"Und bist du dann drin, schwaps!
geht die Tür, klaps! "
Du bist dann statt Gretelchen
... ein Brätelchen!
(Hänsel und Gretel fallen sich jubelnd In die Arme.)
Juch-hei! Nun ist die Hexe tot,
mausetot, und aus die Not!
Juch-hei! Nun ist die Hexe still,
mäuschenstill, Kuchen gibt's die Füll'.
Nun ist zu End' der Graus,
Hexengraus,
und der Spuk ist aus!
(sie fassen sich bei der Hand.)
Ja, lass uns fröhlich sein,
tanzen im Feuerschein,
halten im Knusperhaus
herrlichsten Freudenschmaus.
Heil juch-hei, juch-hei! usw.
(Sie umfassen sich und walzen miteinander. erst im Vordergrunde dann allmählich in der Richtung auf das Knusperhäuschen zu. Als sie beim Knusperhäuschen angekommen sind, reisst sich Hänsel von Gretel los, eilt ins Häuschen, indem er die Türe hinter sich zuschlägt und wirft Gretel durch die obere Luke Äpfel, Birnen, Apfelsinen, vergoldete Nüsse und allerhand Zuckerwerk in die aufgehaltene Schürze. Mittlerweile fängt der Hexenofen gewaltig an zu knistern; die Flamme schlägt hoch empor. Dann gibt's einen starken Krach, und der Ofen stürzt donnernd zusammen. Hänsel und Gretel, die vor Schreck ihre Beute fallen lässt, eilen bestürzt herbei und stehen wie erstarrt da. Ihre Verwunderung steigt aufs Höchste, als sie die Reihen der Kinder um sich herum gewahr werden, deren Kuchenhülle mittlerweile abgefallen ist.)
HÄNSEL
Da, sieh nur die artigen Kinderlein!
GRETEL
Wo mögen die hergekommen sein?
KUCHENKINDER
(regungslos, mit geschlossenen Augen, wie zuvor die Kuchenfiguren)
Erlöst, befreit,
für alle Zeit!
GRETEL
Geschlossen sind ihre Äugelein;
sie schlafen und singen doch so fein!
KUCHENKINDER
O rühr mich an, dass ich erwachen kann!
HÄNSEL
(verlegen)
Rühr du sie doch an, ich trau' mir's nicht!
GRETEL
Ja, streicheln wir dies hübsche Gesicht!
(Sie streichelt das nächste Kind,
dieses öffnet die Augen und lächelt.)
KUCHENKINDER
O rühr auch mich, auch mich rühr an,
dass ich die Äuglein öffnen kann!
(Gretel geht streichelnd zu den übrigen Kindern, die lächelnd die Augen öffnen, ohne sich zu rühren; inzwiscben ergreift Hänsel den Wacholder.)
HÄNSEL
Hokus pokus Holderbusch!
Schwinde, Gliederstarre, husch!
(Die Kinder springen auf und stürzen von allen Seiten herbei.)
KUCHENKINDER
Habt Dank, habt Dank eu'r Leben lang!
(Die Kinder schliessen sich zu einem Ringelreihen um Hänsel und Gretel.)
Die Hexerei ist nun vorbei,
nun singen und springen wir froh und frei!
Kommt, Kinderlein, zum Ringelreih'n!
reicht alle euch die Händchen fein!
Drum singt und springt, drum tanzt und singt,
denn Kuchenheil uns allen winkt,
Drum singt und springt
(usw.)
dass laut der Jubelruf durchdringt den Wald,
und rings erschallt von Lust der Wald!
(zurücktretend)
Habt Dank! Habt Dank!
HÄNSEL
Die Englein haben's im Traum gesagt
in stiller Nacht...
(Je vier Kuchenkinder umringen Hänsel und Gretel und verbeugen sich zierlich vor ihnen.)
...was nun so herrlich...
der Tag hat wahr gemacht.
KUCHENKINDER
Lob und Dank!
GRETEL
Ihr Englein, die uns so treu bewacht
bei Tag und Nacht,
euch sei Lob und Dank für all die Pracht,
die hier uns lacht,
die uns so wonnig lacht!
HÄNSEL
Ihr Englein, die uns so treulich bewacht
bei Tag und Nacht,
habt Lob und Dank,
habt Lob und Dank für all die Pracht,
die so wonnig uns lacht!
KUCHENKINDER
Habt Lob und Dank für all die Pracht
die hier uns lacht!
Habt Dank eu'r Leben lang!
(usw.)
(Alle drängen sich hinzu, um Hänsel und Gretel die Hände zu schütteln.)
ALLE
Habt Lob und Dank usw.
DER VATER
(hinter der Szene)
Ral-la-la-la, ral-la-la-la,
wären doch uns're Kinder da!
Ral-la-la-ia, ral-la-ia-la-ia,
Juch! Ei, da sind sie ja!
(Der Vater erscheint mit der Mutter im Hintergrunde und hält an, als er die Kinder erblickt.)
HÄNSEL
(ihnen entgegeneilend)
Vater! Mutter!
GRETEL
(ebenso)
Vater! Mutter!
DIE MUTTER
Kinderchen!
DER VATER
Da sind ja die armen Sünderchen!
(Frohe Umarmung. Unterdessen haben zwei Knaben die Hexe als grossen Lebkuchen aus den Trümmern des Zauberofens gezogen. Bei ihrem Anblick bricht alles in ein Jubelgeschrei aus.)
ALLE
Hei!
DER VATER
Kinder, schaut das Wunder an,
wie die Hexe hexen kann,
wie sie hart, knusperhart
selber nun zum Kuchen ward!
ALLE ÜBRIGEN
Schaut, o schaut das Wunder an,
wie die Hexe hexen kann,
wie sie hart, knusperhart,
selber nun zum Kuchen ward!
(Die beiden Knaben tragen die Hexe ins Knusperhäuschen.)
DER VATER
Merkt des Himmels Strafgericht:
Böse Werke dauern nicht.
Wenn die Not aufs höchste steigt,
Gott der Herr sich gnädig zu uns neigt!
Ja, wenn die Not aufs höchste steigt,
Gott der Herr die Hand uns reicht!
GRETEL, HÄNSEL, DIE MUTTER, KUCHENKINDER
Wenn die Not aufs höchste steigt,
(mit dem Vater)
Gott der Herr die Hand uns reicht!
(Indem die Kinder einen lustigen Reigen um die Gruppe tanzen, fällt der Vorhang.)