ZWEITER AKT
ERSTER AUFTRITT
Florestan allein.
Nr. 11 - Rezitativ und Arie
FLORESTAN
Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille!
Öd' ist es um mich her. Nichts lebet ausser mir.
O schwere Prüfung! -
Doch gerecht ist Gottes Wille!
Ich murre nicht! Das Mass der Leiden steht bei dir.
In des Lebens Frühlingstagen
Ist das Glück von mir geflohn!
Wahrheit wagt ich kühn zu sagen,
Und die Ketten sind mein Lohn.
Willig duld' ich alle Schmerzen,
Ende schmählich meine Bahn;
Süsser Trost in meinem Herzen:
Meine Pflicht hab' ich getan!
Und spür' ich nicht linde, sanft säuselnde Luft?
Und ist nicht mein Grab mir erhellet?
Ich seh', wie ein Engel im rosigen Duft
Sich tröstend zur Seite mir stellet,
Ein Engel, Leonoren, der Gattin, so gleich,
Der führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich.
ZWEITER AUFTRITT
Florestan, Rocco und Leonore.
Nr. 12 - Melodram und Duett
Melodram
LEONORE
Wie kalt ist es in diesem unterirdischen Gewölbe!
ROCCO
Das ist natürlich, es ist ja tief.
LEONORE
Ich glaubte schon, wir würden den Eingang gar nicht finden.
ROCCO
Da ist er.
LEONORE
Er scheint ganz ohne Bewegung.
ROCCO
Vielleicht ist er tot.
LEONORE
Meint Ihr?
ROCCO
Nein, nein, er schläft nur. Das müssen wir benutzen und gleich ans Werk gehen; wir haben keine Zeit zu verlieren.
LEONORE
Es ist unmöglich, ihn zu erkennen. - Gott steh mir bei, wenn er es ist!
ROCCO
Hier, unter diesen Trümmern ist die Zisterne. - Wir brauchen nicht viel zu graben, um an die Offnung zu kommen. Gib mir eine Haue, und du, stell dich hierher. Du zitterst, fürchtest du dich?
LEONORE
O nein, es ist nur so kalt.
ROCCO
Beim Arbeiten wird dir schon warm werden.
Duett
ROCCO
Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,
Es währt nicht lang', er kommt herein.
LEONORE
Ihr sollt ja nicht zu klagen haben,
Ihr sollt gewiss zufrieden sein.
ROCCO
Komm, hilf doch diesen Stein mir heben -
Hab' acht! - Hab' acht!
Er hat Gewicht!
LEONORE
Ich helfe schon - sorgt Euch nicht;
Ich will mir alle Mühe geben.
ROCCO
Ein wenig noch!
LEONORE
Geduld!
ROCCO
Er weicht.
LEONORE
Nur etwas nochl
ROCCO
Es ist nicht leicht!
ROCCO
Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,
Es währt nicht lang', er kommt herein.
LEONORE
Lasst mich nur wieder Kräfte haben,
Wir werden bald zu Ende sein.
Wer du auch seist, ich will dich retten,
Bei Gott! Du sollst kein Opfer sein!
Gewiss, ich löse deine Ketten,
Ich will, du Armer, dich befrein.
ROCCO
Was zauderst du in deiner Pflicht?
LEONORE
Mein Vater, nein, ich zaudre nicht.
ROCCO
Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,
Es währt nicht lang', so kommt er her.
LEONORE
Ihr sollt ja nicht zu klagen haben,
Lasst mich nur wieder Kräfte haben,
Denn mir wird keine Arbeit schwer.
Er erwacht!
ROCCO
Er erwacht, sagst du?
LEONORE
Ja, er hat eben den Kopf gehoben.
ROCCO
Ohne Zweifel wird er wieder tausend Fragen an mich stellen. Ich muss allein mit ihm reden.
Nun, Ihr habt wieder einige Augenblicke geruht?
FLORESTAN
Geruht? Wie fände ich Ruhe?
LEONORE
Diese Stimme - wenn ich nur einen Augenblick sein Gesicht sehen könnte. Gott! Er ist es.
FLORESTAN
Sagt mir endlich, wer ist der Gouverneur dieses Gefängnisses?
ROCCO
Der Gouverneur dieses Gefängnisses ist Don Pizarro.
FLORESTAN
Pizarro! Dessen Verbrechen ich zu entdecken wagte! Schickt nach Sevilla, fragt nach Leonore Florestan - sagt, dass ich hier in Ketten liege.
ROCCO
Es ist unmöglich, sag' ich Euch. Ich würde mich ins Verderben stürzen, ohne Euch genützt zu haben.
FLORESTAN
Wenn ich verdammt bin, hier mein Leben zu enden, o lasst mich nicht langsam verschmachten. Gebt mir nur einen Tropfen Wasser.
ROCCO
Alles, was ich Euch geben kann, ist ein Restchen Wein. - Fidelio!
LEONORE
Da ist er.
FLORESTAN
Wer ist das?
ROCCO
Mein Schliesser. Du bist ja in Bewegung, Fidelio!
LEONORE
Wer sollte es nicht sein? Ihr selbst, Meister Rocco …
Nr. 13 - Terzett
FLORESTAN
Euch werde Lohn in bessern Welten,
Der Himmel hat euch mir geschickt.
O Dank! Ihr habt mich süss erquickt;
Ich kann die Wohltat, ich kann sie nicht vergelten.
ROCCO
Ich lab' ihn gern, den armen Mann,
Es ist ja bald um ihn getan.
LEONORE
Wie heftig pochet dieses
Es wogt in Freud' und scharfem Schmerz.
FLORESTAN
Bewegt seh' ich den Jüngling hier,
Und Rührung zeigt auch dieser Mann.
O Gott, du sendest Hoffnung mir,
Dass ich sie noch gewinnen kann.
LEONORE
Die hehre, bange Stunde winkt,
Die Tod mir oder Rettung bringt.
ROCCO
Ich tu, was meine Pflicht gebeut,
Doch hass' ich alle Grausamkeit.
LEONORE
Dies Stückchen Brot - ja, seit zwei Tagen
Trag' ich es immer schon bei mir.
ROCCO
Ich möchte gern, doch sag' ich dir,
Das hiesse wirklich zu viel wagen.
LEONORE
Ach! Ihr labtet gern den armen Mann.
ROCCO
Das geht nicht an, das geht nicht an.
LEONORE
Es ist ja bald um ihn getan.
ROCCO
So sei es - ja, so sei's - du kannst es wagen.
LEONORE
Da, nimm das Brot - du armer Mann!
FLORESTAN
O Dank dir, Dank! - O Dank! O Dank!
Euch werde Lohn in bessern Welten,
Der Himmel hat euch mir geschickt.
O Dank! Ihr habt mich süss erquickt,
Ich kann die Wohltat nicht vergelten.
LEONORE
Der Himmel schicke Rettung dir,
Dann wird mir hoher Lohn gewährt.
ROCCO
Mich rührte oft dein Leiden hier,
Doch Hilfe war mir streng verwehrt.
Ich labt' ihn gern, den armen Mann,
Es ist ja bald um ihn getan.
LEONORE
O mehr, als ich ertragen kann!
FLORESTAN
O dass ich euch nicht lohnen kann!
DRITTER AUFTRITT
Die Vorigen, Pizarro
PIZARRO
Ist alles bereit?
ROCCO
Ja, die Zisterne braucht nur geöffnet zu werden.
PIZARRO
Gut, der Bursche soll sich entfernen.
ROCCO
Geh, entferne dich, Fidelio.
LEONORE
Wer? - Ich? - Und Ihr?
ROCCO
Geh! Geh!
Soll ich ihm die Ketten abnehmen?
PIZARRO
Nein, aber schliess ihn vom Stein los. Die Zeit drängt.
Nr. 14 - Quartett
PIZARRO
Er sterbe! -
Doch er soll erst wissen,
Wer ihm sein stolzes Herz zerfleischt.
Der Rache Dunkel sei zerrissen,
Sieh' her! Du hast mich nicht getäuscht!
Pizarro, den du stürzen wolltest,
Pizarro, den du fürchten solltest,
Steht nun als Rächer hier.
FLORESTAN
Ein Mörder steht vor mir!
PIZARRO
Noch einmal ruf ich dir,
Was du getan, zurück;
Nur noch ein Augenblick
Und dieser Dolch -
LEONORE
Zurück!
FLORESTAN
O Gott!
ROCCO
Was soll?
LEONORE
Durchbohren
Musst du erst diese Brust;
Der Tod sei dir geschworen
Für deine Mörderlust.
PIZARRO
Wahnsinniger!
ROCCO
Halt ein!
PIZARRO
Er soll bestrafet sein!
LEONORE
Töt' erst sein Weib!
ROCCO, PIZARRO
Sein Weib?
FLORESTAN
Mein Weib?
LEONORE
Ja, sieh' hier Leonore!
FLORESTAN
Leonore!
LEONORE
Ich bin sein Weib, geschworen
Hab' ich ihm Trost. Verderben dir!
PIZARRO
Welch unerhörter Mut!
FLORESTAN
Vor Freude starrt mein Blut!
ROCCO
Mir starrt vor Angst mein Blut.
LEONORE
Ich trotze seiner Wut!
PIZARRO
Soll ich vor einem Weibe beben?
LEONORE
Der Tod sei dir geschworen.
PIZARRO
So opfr' ich beide meinem Grimm.
LEONORE
Durchbohren musst du erst diese Brust!
PIZARRO
Geteilt hast du mit ihm das Leben,
So teile nun den Tod mit ihm.
LEONORE
Noch einen Laut - und du bist tot!
Ach! Du bist gerettet! Grosser Gott!
FLORESTAN
Ach! Ich bin gerettet! Grosser Gott!
PIZARRO
Ha! Der Minister! Höll' und Tod!
ROCCO
O was ist das! Gerechter Gott!
VIERTER AUFTRITT
Die Vorigen, Jaquino, Soldaten.
JAQUINO
Vater Rocco, Vater Rocco, der Herr Minister kommt an, sein Gefolge ist schon vor dem Schlosstor.
ROCCO
Gelobt sei Gott! Wir kommen, ja wir kommen augenblicklich. Und unsere Leute sollen heruntersteigen und den Herrn Gouverneur hinaufbegleiten.
LEONORE, FLORESTAN
Es schlägt der Rache Stunde.
Du (ich) soll(st) gerettet sein;
Die Liebe wird im Bunde
Mit Mute dich (mich) befrein.
PIZARRO
Verflucht sei diese Stunde!
Die Heuchler spotten mein;
Verzweiflung wird im Bunde
Mit meiner Rache sein.
ROCCO
O fürchterliche Stunde!
O Gott, was wartet mein?
Ich will nicht mehr im Bunde
Mit diesem Wütrich sein.
FÜNFTER AUFTRITT
Leonore, Florestan.
FLORESTAN
Meine Leonore, was hast du für mich getan!
LEONORE
Nichts, nichts, mein Florestan!
Nr. 15 - Duett
LEONORE
O namenlose Freude!
Mein Mann an meiner Brust!
FLORESTAN
O namenlose Freude!
An Leonorens Brust!
BEIDE
Nach unnennbarem Leide
So übergrosse Lust!
LEONORE
Du wieder nun in meinen Armen1
FLORESTAN
O Gott, wie gross ist dein Erbarmen!
BEIDE
Mein Weib, mein Weib, an meiner Brust!
Mein Mann, mein Mann, an meiner Brust!
O dank dir, Gott, für diese Lust!
FLORESTAN
Du bist's!
LEONORE
Ich bin's!
FLORESTAN
O himmlisches Entzücken! Leonore!
LEONORE
Florestan!
BEIDE
O namenlose Freude!
Mein Weib, mein Weib, an meiner Brust!
Du wieder mein, an meiner Brust!
O dank dir, Gott, für diese Lust!
An dieser Stelle erfolgt bei manchen Aufführungen als Einschub die Ouvertüre »Leonore III«
SECHSTER AUFTRITT
Die Gefangenen, Don Fernando, Pizarro, Marzelline und Jaquino.
Nr. 16 - Finale
CHOR DER GEFANGENEN UND DES VOLKES
Heil sei dem Tag,
Heil sei der Stunde,
Die lang ersehnt, doch unvermeint,
Gerechtigkeit mit Huld im Bunde
Vor unsres Grabes Tor erscheint!
FERNANDO
Des besten Königs Wink und Wille
Führt mich zu euch, ihr Armen, her,
Dass ich der Frevel Nacht enthülle,
Die all' umfangen schwarz und schwer.
Nein, nicht länger knieet sklavisch nieder,
Tyrannenstrenge sei mir fern.
Es sucht der Bruder seine Brüder,
Und kann er helfen, hilft er gern.
CHOR
Heil sei dem Tag,
Heil sei der Stunde!
FERNANDO
Es sucht der Bruder seine Brüder,
Und kann er helfen, hilft er gern.
SIEBENTER AUFTRITT
Die Vorigen, Rocco, Leonore, Florestan.
ROCCO
Wohlan, so helfet! Helft den Armen!
PIZARRO
Was seh' ich? Ha!
ROCCO
Bewegt es dich?
PIZARRO
Fort! Fort!
FERNANDO
Nun, rede!
ROCCO
All Erbarmen
Vereine diesem Paare
Don Florestan -
FERNANDO
Der Totgeglaubte,
Der Edle, der für Wahrheit stritt?
ROCCO
Und Qualen ohne Zahl erlitt.
FERNANDO
Mein Freund! Mein Freund! Der Totgeglaubte? -
Gefesselt, bleich steht er vor mir.
ROCCO, LEONORE
Ja, Florestan, Ihr seht ihn hier.
ROCCO
Und Leonore -
FERNANDO
Leonore?
ROCCO
Der Frauen Zierde führ' ich vor.
Sie kam hierher -
PIZARRO
Zwei Worte sagen -
FERNANDO
Kein Wort!
Sie kam -
ROCCO
Dort an mein Tor,
Und trat als Knecht in meine Dienste,
Und tat so brave, treue Dienste,
Dass ich - zum Eidam sie erkor.
MARZELLINE
O weh' mir, was vernimmt mein Ohr!
ROCCO
Der Unmensch wollt' in dieser Stunde
Vollziehn an Florestan den Mord.
PIZARRO
Vollziehn mit ihm!
ROCCO
Mit uns im Bunde!
Nur Euer Kommen rief ihn fort.
CHOR
Bestrafet sei der Bösewicht,
Der Unschuld unterdrückt.
Gerechtigkeit hält zum Gericht
Der Rache Schwert gezückt.
Pizarro wird abgeführt
FERNANDO
Du schlossest auf des Edlen Grab,
Jetzt nimm ihm seine Ketten ab -
Doch halt! Euch, edle Frau, allein,
Euch ziemt es, ganz ihn zu befrein.
LEONORE
O Gott! - Welch ein Augenblick!
FLORESTAN
O unaussprechlich süsses Glück!
FERNANDO
Gerecht, O Gott, ist dein Gericht.
MARZELLINE, ROCCO
Du prüfest, du verlässt uns nicht.
ALLE
O Gott! O welch ein Augenblick !
O unaussprechlich süsses Glück!
Gerecht, O Gott, ist dein Gericht,
Du prüfest, du verlässt uns nicht!
CHOR
Wer ein holdes Weib errungen,
Stimm' in unsern Jubel ein!
Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.
FLORESTAN
Deine Treu' erhielt mein Leben,
Tugend schreckt den Bösewicht.
LEONORE
Liebe führte mein Bestreben,
Wahre Liebe fürchtet nicht.
CHOR
Preist mit hoher Freude Glut
Leonorens edlen Mut.
FLORESTAN
Wer ein solches Weib
Stimm' in unsern Jubel ein!
Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.
LEONORE
Liebend ist es mir gelungen,
Dich aus Ketten zu befrein.
Liebend sei es hoch besungen-.
Florestan ist wieder mein!
CHOR
Wer ein holdes Weib errungen,
Stimm' in unsern Jubel ein!
Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.
LEONORE
Liebend sei es hoch besungen:
Florestan ist wieder mein!
ALLE
Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.