ZWEITER AUFZUG
Saal bei Herrn von Faninal. Mitteltür nach dem Vorsaal. Türen links und rechts. Rechts auch ein großes Fenster. Zu beiden Seiten der Mitteltür Stühle an der Wand. In den abgerundeten Ecken jederseits eine kleine unsichtbare Tür.
Faninal, Sophie, Marianne Leitmetzerin, die Duenna, der Haushofmeister, Lakaien.
FANINAL
im Begriff, von Sophie Abschied zu nehmen.
Ein ernster Tag, ein großer Tag, ein Ehrentag, ein heil’ger Tag!
SOPHIE
küsst ihm die Hand.
MARIANNE
am Fenster
Der Josef fährt vor mit der neuen Karoß. Hat himmelblaue Vorhäng’, vier Apfelschimmel sind dran.
HAUSHOFMEISTER
nicht ohne Vertraulichkeit zu Faninal
Ist höchste Zeit, dass Euer Gnaden fahren. Der hochadelige Brautvater sagt: Die Schicklichkeit muss ausgefahren sein, bevor der silberne Rosenkavalier vorfährt.
Lakaien öffnen die Tür.
FANINAL
In Gottes Namen.
HAUSHOFMEISTER
Wär’ nicht geziemend, dass vor der Tür sie sich begegneten!
FANINAL
Wenn ich wiederkomm, so führ’ ich deinen Herrn Zukünftigen bei der Hand.
MARIANNE
Den edlen und gestrengen Herrn von Lerchenau!
FANINAL
er geht.
SOPHIE
vorgehend, allein
In dieser feierlichen Stunde der Prüfung, da du mich, o mein Schöpfer, über mein Verdienst erhöhen und in den heiligen Ehestand führen willst, -
MARIANNE
am Fenster
Jetzt steigt er ein. Der Xaver und der Anton springen hinten auf.
SOPHIE
Sie hat große Mühe, gesammelt zu bleiben.
... opf’r ich dir in Demut mein Herz in Demut auf.
MARIANNE
Der Stallpag’ reicht dem Josef seine Peitschen, alle Fenster sind voller Leut’.
SOPHIE
Die Demut in mir zu erwecken, muss ich mich demütigen.
MARIANNE
sehr aufgeregt
Die halbe Stadt ist auf die Füß’.
SOPHIE
sammelt sich mühsam
Demütigen und recht bedenken: die Sünde, die Schuld, die Niedrigkeit, die Verlassenheit, die Anfechtung!
MARIANNE
Aus dem Seminari schau’n die Hochwürdigen von die Balkoner. Ein alter Mann sitzt oben auf der Latern’.
SOPHIE
Die Mutter ist tot, und ich bin ganz allein. Für mich selber steh’ ich ein. Aber die Ehe ist ein heiliger Stand.
3 LAUFFER
unten auf der Straße, noch von ferne
Rofrano, Rofrano!
MARIANNE
entzückt ausrufend
Er kommt, er kommt. In zwei Karossen. Die erste ist vierspännig, die ist leer. In der zweiten, sechsspännigen sitzt er selber, der Rosenkavalier.
3 LAUFFER
etwas näher
Rofrano, Rofrano!
SOPHIE
ziemlich fassungslos
Ich will mich niemals meines neuen Standes überheben, mich überheben...
Sie hält es nicht aus
Was rufen denn die?
MARIANNE
Den Namen vom Rosenkavalier und alle Namen von Deiner neuen fürstlichen Verwandtschaft rufen’s aus.
mit lebhaften Gebärden
Jetzt rangier’n sich die Bedienten. Die Lakaien springen rückwärts ab!
SOPHIE
Werden sie mein’ Bräutigam sein’ Namen auch so ausrufen, wenn er angefahren kommt?
MARIANNE
ganz begeistert
Sie reißen den Schlag auf! Er steigt aus. Ganz in Silberstück ist er angelegt, von Kopf zu Fuß. Wie ein heil’ger Engel schaut er aus.
3 LAUFFER
dicht unter dem Fenster
Rofrano! Rofrano!
SOPHIE
Herrgott im Himmel! Ich weiß, der Stolz ist eine schwere Sünd’. Aber jetzt kann ich mich nicht demütigen. Jetzt geht’s halt nicht. Denn das ist ja so schön, so schön!
Zwei Faninalsche Lakaien haben schnell die Mitteltür aufgetan.
Währenddem ist Octavians Dienerschaft in seinen Farben: Weiss mit Blassgrün rasch eingetreten. Die Lakaien, die Haiducken mit krummen ungarischen Säbeln an der Seite, die Lauff er in weissem sämischem Leder mit grünen Straussenfedern. Dicht hinter diesem ein Neger, der Octavians Hut, und ein anderer Lakai, der das Safflanfutteral für die silberne Rose in beiden Händen trägt. Dann Octavian, die Rose in der Rechten. Er geht mit adeligem Anstand auf Sophie zu, aber sein Knabengesicht ist von seiner Schüchternheit gespannt und gerötet. Sophie ist vor Aufregung über seine Erscheinung und die Zeremonie leichenblass. Sie stehen einander gegenüber und machen sich wechselweise durch ihre Verlegenheit und Schönheit noch verwirrter.
OCTAVIAN
etwas stockend
Mir ist die Ehre widerfahren, dass ich der hoch und wohlgeborenen Jungfer Braut, in meines Herrn Vetters Namen, dessen zu Lerchenau Namen, die Rose seiner Liebe überreichen darf.
SOPHIE
nimmt die Rose
Ich bin Euer Liebden sehr verbunden. Ich bin Euer Liebden in aller Ewigkeit verbunden.
Pause der Verwirrung.
SOPHIE
indem sie an der Rose riecht
Hat einen starken Geruch wie Rosen, wie lebendige.
OCTAVIAN
Ja, ist ein Tropfen persischen Rosenöls darein getan.
SOPHIE
Wie himmlische, nicht irdische, wie Rosen vom hochheiligen Paradies. Ist Ihm nicht auch?
OCTAVIAN
neigt sich über die Rose, die sie ihm hinhält; dann richtet er sich auf und sieht auf ihren Mund.
SOPHIE
Ist wie ein Gruß vom Himmel. Ist bereits zu stark, als dass man’s ertragen kann. Zieht einen nach, als lägen Stricke um das Herz.
leise
Wo war ich schon einmal und war so selig?
OCTAVIAN
zugleich mit ihr wie unbewusst und noch leiser
Wo war ich schon einmal und war so selig?
SOPHIE
mit Ausdruck
Dahin muss ich zurück, dahin, und müsst’ ich völlig sterben auf dem Weg. Allein, ich sterb’ ja nicht. Das ist ja weit. Ist Zeit und Ewigkeit in einem sel’gen Augenblick, den will ich nie vergessen bis an meinen Tod.
OCTAVIAN
zugleich mit ihr
Ich war ein Bub, da hab’ ich die, die noch nicht gekannt. Wer bin denn ich? Wie komm denn ich zu ihr? Wie kommt denn sie zu mir? Wär’ ich kein Mann, die Sinne möchten mir vergeh’n; das ist ein seliger Augenblick, den will ich nie vergessen bis an meinen Tod.
Indessen hat sich die Livree Octavians links rückwärts rangiert. Die Faninal’schen Bedienten mit dem Haushofmeister rechts.
Der Lakai Octavians übergibt das Futteral an Marianne. Sophie schüttelt ihre Versunkenheit ab und reicht die Rose der Marianne, die sie ins Futteral schließt. Der Lakai mit dem Hut tritt von rückwärts an Octavian heran und reicht ihm den Hut. Die Livree Octavians tritt ab, während gleichzeitig die Faninal’schen Bedienten drei Stühle in die Mitte tragen, zwei für Octavian und Sophie, einen rück- und seitwärts für die Duenna. Zugleich trägt der Faninal’sche Haushofmeister das Futteral mit der Rose durch die Türe rechts ab. Sofort treten auch die Faninal’schen Bedienten durch die Mitteltüre ab. Sophie und Octavian stehen einander gegenüber, einigermaßen zur gemeinen Welt zurückgekehrt, aber befangen.
Auf eine Handbewegung Sophies nehmen sie beide Platz, desgleichen die Duenna, im selben Augenblicke, wo der Haushofmeister unsichtbar die Tür rechts von aussen zuschließt.
SOPHIE
Ich kenn’ Ihn schon recht wohl, mon Cousin!
OCTAVIAN
Sie kennt mich, ma Cousine?
SOPHIE
Ja, aus dem Buch, wo die Stammbäumer drin sind. Dem Ehrenspiegel Österreichs. Das nehm’ ich immer Abends mit ins Bett und such’ mir meine zukünft’ge, gräflich’ und fürstlich’ Verwandtschaft drin zusammen.
OCTAVIAN
Tut Sie das, ma Cousine?
SOPHIE
Ich weiß, wie alt Euer Liebden sind: Siebzehn Jahr und zwei Monat. Ich weiß all’ Ihre Taufnamen: Octavian, Maria Ehrenreich, Bonaventura, Fernand, Hyacinth.
OCTAVIAN
So gut weiß ich sie selber nicht einmal.
SOPHIE
Ich weiß noch was.
errötet
OCTAVIAN
Was weiß Sie noch, sag’ Sie mir’s, ma Cousine?
SOPHIE
ohne ihn anzusehen
Quinquin.
OCTAVIAN
lachend
Weiß Sie den Namen auch?
SOPHIE
So nennen Ihn halt Seine guten Freunde und schöne Damen, denk’ ich mir, mit denen Er recht gut ist.
kleine Pause. mit Naivität
Ich freu’ mich aufs Heiraten! Freut Er sich auch darauf? Oder hat Er leicht noch gar nicht dran gedacht, mon Cousin? Denk’ Er: Ist doch was andres, als der ledige Stand.
OCTAVIAN
leise
Wie schön sie ist.
SOPHIE
Freilich, Er ist ein Mann, da ist Er, was Er bleibt. Ich aber brauch’ erst einen Mann, dass ich was bin. Dafür bin ich dem Mann dann auch gar sehr verschuldet.
OCTAVIAN
gerührt und leise
Mein Gott, wie schön und gut sie ist. Sie macht mich ganz verwirrt.
SOPHIE
Ich werd’ ihm keine Schand’ nicht machen und meinem Rang und Vortritt.
sehr lebhaft
Täte eine, die sich besser dünkt als ich, ihn mir bestreiten bei einer Kindstauf’ oder Leich’, so will ich, wenn es sein muss, mit Ohrfeigen ihr beweisen, dass ich die vornehmere bin, und lieber alles hinnehme wie Kränkung oder Ungebühr.
OCTAVIAN
lebhaft
Wie kann Sie denn nur denken, dass man Ihr mit Ungebühr begegnen wird, da Sie doch immer die Schönste, die Allerschönste sein wird.
SOPHIE
Lacht Er mich aus, mon Cousin?
OCTAVIAN
Wie, glaubt Sie das von mir?
SOPHIE
Er darf mich auslachen, wenn Er will. Von Ihm lass ich alles mir gerne gescheh’n, weil mir nie noch ein junger Kavalier von Nähen oder Weitem also wohlgefallen hat wie Er. Jetzt aber kommt mein Herr Zukünftiger.