DRITTER AKT
Nr. 12 - Entreakt
Kanzlei des Gefängnisdirektors Frank. Im Hintergrund blickt man ins Vorzimmer. Links ein Fenster. Auf beiden Seiten Türen. Rechts ein Schreibtisch mit Teegeschirr, Wasserflasche usw.
ERSTER AUFTRITT
Frosch. Hinter der Szene Alfred.
FROSCH
schliesst mit einem grossen Schlüsselbund die Mitteltüre auf, tritt mit einer brennenden Laterne in der Hand ziemlich betrunken ein.
ALFRED
singt hinter der Szene
Täubchen, holdes Täubchen mein usw..
FROSCH
Hoho, das ist ein fideles Gefängnis. Der Gefangene auf Numero 12 singt schon wieder. Ich bin erst seit ein paar Tagen mit dem Herrn Direktor hierher versetzt worden, aber es gefällt mir ganz gut. So ein fideles Gefängnis wie hier ist mir noch gar nicht vorgekommen. Und der Slibowitz, der ist hier auch sehr gut! Ja, ich habe gefunden, dass er hier sogar noch besser ist! Im Kopf hab ich nichts, der ganze Geist hat sich in die Stiefel gesenkt, darum sind sie so schwer. Und dann ist mir, als hör ich immer Musik!
ALFRED
hinter der Szene trällert wieder
FROSCH
So lustig und fidel kommt mir hier alles vor. Ist das der Slibowitz?
horcht
Nein, das ist der Gefangene von Numero 12, der singt schon wieder.
ruft
Ruhe, Ruhe, mein Herr! Das Singen ist gegen die Hausordnung! Na wart, verdammter Slibowitz!
stolpert ab
Verflucht fidel ist's hier im Gefängnis!
ZWEITER AUFTRITT
Frank allein.
Nr. 13 - Melodram
Es wird hell. Wenn Frosch verschwunden ist, öffnet sich die Tür links. Frank hat den Hut etwas zerdrückt tief in der Stirn sitzen und den Mantel schief geknöpft. Während er nach vorn kommt, sucht er vergeblich seinen schwankenden Schritten Festigkeit zu geben. Nach vorn gekommen, nimmt er den Zylinder ab und schleudert ihn in eine Zimmerecke. Energisch sucht er seinen Mantel auszuziehen. Frank, immer an dem Rock zerrend, fängt allmählich an, sich leicht im Walzertakt zu wiegen, und pfeift vor sich hin. Er wird immer lebhafter und walzt mit seinem halbausgezogenen Mantel durchs Zimmer. Plötzlich hält er inne, besinnt sich, wo er sich befindet, und bemüht sich, ernst zu sein. Es gelingt ihm, den Mantel loszuwerden. Die gute Laune gewinnt die Oberhand. Er glaubt sich noch im Ballsaal und lallt.
FRANK
Olga, komm her! Ida auch! Ihr gefallt mir! Marquis, reich mir die Hand, sei mein Freund!
singt
Die Majestät wird anerkannt rings im Land,
Jubelnd wird Champagner der Erste sie genannt!
Es lebe Champagner der Er ... Pst!
Schaut sich erschrocken um, ob niemand ihn gehört, erblickt das Teegeschirr; das kommt ihm sehr erwünscht. Er beginnt Tee zu machen, zündet nach einigen vergeblichen Versuchen die Spiritusflamme an, schüttet Tee in die Kanne. Es wird ihm heiss, er fächelt sich Luft zu, sucht nach einem Stuhl, erhascht ihn endlich, setzt sich, versucht die Zeitung zu lesen, hält sie jedoch schief und nickt darüber ein.
DRITTER AUFTRITT
Frank. Frosch.
FROSCH
erblickt Frank schlafend, für sich
Ah, der Herr Direktor ist schon da! Er scheint sehr vertieft in seine Lektüre.
bemüht sich, stramme Haltung anzunehmen
Ich muss ihm meinen Rapport machen.
sehr laut
Herr Direktor, ich komm zum Rapport!
FRANK
fährt auf
Was gibt's? Nun, Frosch, quake deinen Rapport! Komm näher!
FROSCH
verlegen, da er sich nicht zu rühren wagt
Näher soll ich kommen?
FRANK
Nun freilich!
Frosch macht zwei wankende Schritte, für sich
Der verdammte Champagner! Alles hüpft mir vor den Augen. Auch der Frosch hüpft!
laut
Was gibt's Neues?
FROSCH
Nichts, Herr Direktor. Nur Numero 12 verlangt einen Advokaten.
FRANK
Der Herr von Eisenstein? Meinetwegen, das ist sein gutes Recht.
FROSCH
Ich habe ihm einen gewissen Dr. Blind bestellt, den man mir anempfohlen.
taumelt etwas
Verdammter Slibowitz!
FRANK
Warum schwankst du denn so?
FROSCH
immer schwankend
Ich schwanke ja nicht!
FRANK
für sich
Verfluchter Champagner! Alles schwankt mir vor den Augen!
FROSCH
hat einen Stuhl als Halt gefunden
Sehen Sie, Herr Direktor, ich schwanke nicht!
FRANK
heftig
Wer sagt denn, dass du schwankst?
für sich
Verfluchte Geschichte.
FROSCH
Niemand, Herr Direktor, niemand sagt es.
für sich
Mir kam es so vor, als ob er's gesagt hätte!
FRANK
Nun, wie gefällt es dir in diesem Hause?
FROSCH
stützt sich mit beiden Armen auf Franks Tisch
Wie es mir hier gefällt? Sehr gut! Recht fidel ist es! Wahrhaftig, ein so fideles Gefängnis ist mir noch gar nicht vorgekommen. Meinen Sie nicht auch, Herr Direktor?
FRANK
Ja, du hast recht; sehr fidel ist's hier!
es läutet
Was gibt's? Man läutet an der Tür.
FROSCH
bleibt ruhig stehen
Ja, mir war's auch so!
FRANK
Schau aus dem Fenster, wer da ist.
es läutet wieder
FROSCH
Aus dem Fenster?
für sich
Bis dorthin komm ich ja gar nicht!
schwankt im Zickzack zum Fenster
FRANK
für sich
Nur kein Besuch jetzt!
FROSCH
am Fenster
Zwei Damen sind da!
FRANK
aufspringend
Zwei Damen, sagst du?
FROSCH
Vielleicht ist es auch nur eine. Ich sehe alles doppelt. - Soll ich öffnen?
FRANK
Nein ... ja ... das heisst ... nein!
FROSCH
Es sind zwei hübsche feine Damen!
FRANK
So öffne doch! Warum öffnest du denn nicht?
FROSCH
Ich gehe ja schon!
im Abgehen
Eine lustige Geschichte! Zwei schöne junge Damen schon in aller Früh! Ich sag's ja, ein fideles Gefängnis! Ungeheuer fidel!
torkelt ab
FRANK
Wenn ich nur schnell etwas Niederschlagendes ...
entdeckt auf dem Tisch die Wasserflasche, schenkt sich ein Glas ein, stürzt es hinunter
Ah, das tut gut!
taucht sein Taschentuch ein und befeuchtet sich die Stirn
VIERTER AUFTRITT
Frank. Frosch, der Adele und Ida hereinführt.
FROSCH
Die beiden Damen wollen den Herrn Chevalier Chargrin sprechen.
FRANK
zuckt zusammen
Chevalier Chargrin!?
FROSCH
Ich habe Ihnen schon gesagt, dass wir keinen Herrn dieses Namens hier haben.
ADELE
Aber da ist er ja!
IDA
Dr. Falke hat uns die Wohnung ganz richtig beschrieben.
FRANK
für sich
Die Olga mit der Ida, das fehlte noch! Zu Frosch. Lass uns allein!
FROSCH
Zu Befehl!
im Abgehen
Ein lustiges Gefängnis hier! Ungeheuer fidel!
ADELE
Der Herr Chevalier wundern sich gewiss über diesen Besuch?
FRANK
Allerdings ... ich hatte nicht gehofft, so früh schon ...
ADELE
Wir haben Ihnen eine Bitte vorzutragen.
IDA
Und meine Schwester meinte, frisch gewagt ist halb gewonnen. Da der Herr Chevalier sich heute ganz besondersfür meine Schwester zu interessieren schienen ...
FRANK
verlegen
Allerdings!
für sich
Sie sind übrigens alle beide allerliebst!
ADELE
Da hielt ich es für meine Pflicht, Ihnen ein Geständnis zu machen!
FRANK
Oho!
für sich
Mir wird ganz heiss!
ADELE
Dass ich nicht das bin, was ich scheine!
FRANK
Sie sind ganz allerliebst, und das genügt mir, mein Engel!
IDA
Meine Schwester ist aber keine Künstlerin.
FRANK
galant
Was nicht ist, kann noch werden!
ADELE
Das meinte meine Schwester auch, und deswegen kommen wir zu Ihnen.
IDA
Sie sind ein vornehmer Herr und könnten ihr leicht behilflich sein.
FRANK
Ich! Wieso?
IDA
Wie gesagt, meine Schwester ist noch nicht Künstlerin ...
ADELE
Auch noch nicht einmal Elevin, sondern bis jetzt nur Stubenmädchen des Herrn von Eisenstein.
FRANK
Ein Stubenmädchen! Und Sie haben sich von mir die Hand küssen lassen?
ADELE
Den Mund ja auch!
FRANK
Pst, nichts ausplaudern!
ADELE
Es bleibt unter uns! Aber da Sie Herrn von Eisenstein sprechen werden, hätte ich noch eine Bitte.
FRANK
Nun?
ADELE
Der Herr weiss, dass ich ohne Erlaubnis der gnädigen Frau in ihrem Kleide die Villa Orlofsky besucht habe.
schluchzend
Ich bitte, ich beschwöre Sie, legen Sie ein gutes Wort für mich ein!
FRANK
Dass er Ihnen verzeiht?
ADELE
Nein, dass er mir das Kleid schenkt, weil es mir gar so gut steht!
FRANK
Das ist doch ein bisschen viel verlangt!
Augenblicklich entlassen wird Sie Ihre Herrschaft.
IDA
Ach, wenn es weiter nichts ist, entlassen hat sie sich schon selbst.
ADELE
Ich habe nämlich die Idee, mich fürs Theater ausbilden zu lassen.
IDA
Und da sollten uns der Herr Chevalier behilflich sein. Mich hat auch so ein vornehmer Herr ausbilden lassen.
FRANK
Ich soll Sie ausbilden lassen? Ja, haben Sie denn auch Talent?
ADELE
Ob ich Talent habe? Sonderbare Frage!
Nr. 14 - Couplet
1
ADELE
Spiel ich die Unschuld vom Lande,
Natürlich im kurzen Gewande,
So hüpf ich ganz neckisch umher,
Als ob ich ein Eichkatzerl wär'.
Und kommt ein saubrer junger Mann,
So blinzle ich lächelnd ihn an,
Durch die Finger zwar nur
Als Kind der Natur,
Und zupf an meinem Schürzenband;
So fängt man Spatzen auf dem Land.
Und folgt er mir, wohin ich geh,
Sag ich naiv: "Sö Schlimmer, Sö!"
Setz mich zu ihm ins Gras sodann
Und fang auf d'Letzt zu singen an:
La la la la la la la la!
Wenn Sie das gesehn, müssen Sie gestehn,
Es wär' der Schaden nicht gering,
Wenn mit dem Talent ich nicht zum Theater ging'!
2
Spiel ich eine Königin,
Schreit ich majestätisch hin,
Nicke hier und nicke da,
Ja, ganz in meiner Gloria.
Alles macht voll Ehrfurcht mir Spalier,
Lauscht den Tönen meines Sangs.
Lächelnd ich das Reich und Volk regier,
Königin par excellence!
La la la la la la la la!
IDA
die Trompete nachahmend
Tratatatata! Tratatatata!
FRANK
die Trommel nachahmend
Rem, pem, plem, prrr, rem, pem, plem, prrr!
ADELE
Wenn Sie das gesehn, müssen Sie gestehn,
Es wär' der Schaden nicht gering,
Wenn mit dem Talent ich nicht zum Theater ging'!
3
Spiel ich 'ne Dame aus Paris, ach, ach,
Die Gattin eines Herrn Marquis, ach, ach, -
Da kommt ein junger Graf ins Haus, ach, ach,
Der geht auf meine Tugend aus, ach!
Zwei Akte lang geb ich nicht nach,
Doch, ach, im dritten werd ich schwach.
Da öffnet plötzlich sich die Tür:
O weh, mein Mann! Was wird aus mir? Ach!
"Verzeihung!" flöt ich; er verzeiht, ach!
Zum Schlusstableau, da weinen d'Leut', ach! Ja!
FRANK
spricht
Zum Stubenmädchen sind Sie allerdings etwas zu emanzipiert!
IDA
Sie wollen also meine Schwester ausbilden lassen, Herr Chevalier?
Es läutet.
FRANK
ans Fenster gehend
Ich muss doch sehen, wer da ist?
prallt erschrocken zurück
Donnerwetter, Marquis Renard! Was mach ich nun?
FROSCH
ist gekommen
Soll ich öffnen?
FRANK
Ja ... nein ... warte noch!
für sich
Ich bin ganz konfus!
zu Frosch
Führe die Damen in ein anderes Zimmer!
FROSCH
Ich habe nur noch Numero 13 frei!
FRANK
So führe sie auf Nummer 13!
Es läutet wieder.
FROSCH
leise
So werden sie also eingesperrt?
FRANK
Nein ... das heisst ja! Meinetwegen! Sperre sie ein, mach nur, dass sie fortkommen! - Was mag der Marquis hier wollen?
FROSCH
Wollen Sie die Güte haben, meine Damen?
ADELE
Ist Numero 13 Ihr Empfangssalon?
FROSCH
Freilich! Oh, wir haben mehrere solche Salons, weil wir oft längeren Besuch bekommen.
IDA
Also führen Sie uns auf Nummer 13!
FROSCH
beiden Damen den Arm bietend
Wenn's gefällig?
Adele und Ida hängen sich ein
Fideles Gefängnis bei uns! Ungeheuer fidel!
ab mit Adele und Ida
FÜNFTER AUFTRITT
Frank. Dann Eisenstein.
FRANK
allein
Der Herr Marquis Renard wird schon ungeduldig. Was soll ich machen? Ich muss ihn hereinlassen auf die Gefahr hin, dass die Sache mit einer ungeheuren Blamage für mich endet.
öffnet die Tür
EISENSTEIN
tritt ein
Ist's möglich, teurer Chevalier, dich find ich hier? Bist du wegen nächtlicher Ruhestörung arretiert worden?
FRANK
Erst sag mir, lieber Marquis, was du hier zu tun hast?
EISENSTEIN
Ah, du bist beim Tee, das kommt mir sehr apropos. Du erlaubst schon!
setzt sich
FRANK
Bitte, bediene dich ungeniert. Tu, als ob du zu Hause wärst!
EISENSTEIN
Das bin ich eigentlich jetzt auch!
FRANK
Du hier zu Hause? Das könnte ich doch wohl eher von mir behaupten.
EISENSTEIN
So sag mir doch endlich, was hast du denn getrieben, dass du hier eingesperrt wurdest, Chevalier?
FRANK
Ich bin ja gar nicht eingesperrt!
EISENSTEIN
Zum Henker, was machst du dann aber hier?
FRANK
So hör denn, ich muss endlich die Wahrheit bekennen; ich bin nicht der Chevalier Chargrin, sondern heisse Frank und bin Direktor dieses Gefängnisses!
EISENSTEIN
Haha, ein guter Spass! Ein prächtiger Spass, haha!
FRANK
Kein Spass, sondern bitterer Ernst!
EISENSTEIN
Mein Gott, Chevalier, bist du denn noch so arg betrunken, dass du dir wirklich einbildest, hier Gefängnisdirektor zu sein? Nimm noch eine Tasse Tee!
FRANK
Keiner mehr da: kein Tee, kein Chevalier!
EISENSTEIN
Geh, Bruder, geh; du willst mich zum besten haben!
FRANK
Du zweifelst daran?
läutet
Sollst dich gleich überzeugen!
SECHSTER AUFTRITT
Frank. Eisenstein. Frosch.
FROSCH
Herr Direktor befehlen?
FRANK
Pack den Herrn Marquis!
FROSCH
Sehr wohl! - Soll ich ihm Handschellen anlegen?
packt Eisenstein
EISENSTEIN
Was soll das heissen?
FRANK
Lass ihn wieder los! Es war nur ein Spass.
FROSCH
lässt los
Ah so, nur ein Spass!
FRANK
Geh und lass uns jetzt allein!
FROSCH
Kuriose Spässe! Ich sag's ja, ein fideles Gefängnis, ungeheuer fidel!
ab