EINZIGER AKT
Der innere Hof, begrenzt von der Rückseite des Palastes und niedrigen Gebäuden, in denen die Diener wohnen. Dienerinnen am Ziehbrunnen, links vorne. Aufseherinnen unter ihnen
ERSTE MAGD
ihr Wassergefäss aufhebend:
Wo bleibt Elektra?
ZWEITE MAGD
Ist doch ihre Stunde,
die Stunde, wo sie um den Vater heult,
dass alle Wände schallen.
Elektra kommt aus der schon dunkelnden Hausflur gelaufen. Alle drehen sich nach ihr um. Elektra springt zurück wie ein Tier in seinen Schlupfwinkel, den einen Arm vor dem Gesicht
ERSTE MAGD
Habt ihr gesehn, wie sie uns ansah?
ZWEITE MAGD
Giftig wie eine wilde Katze.
DRITTE MAGD
Neulich lag sie da und stöhnte ―
ERSTE MAGD
Immer, wenn die Sonne tief steht, liegt sie und stöhnt.
DRITTE MAGD
Da gingen wir zu zweit und kamen ihr zu nah ―
ERSTE MAGD
sie hält's nicht aus, wenn man sie ansieht.
DRITTE MAGD
Ja, wir kamen ihr zu nah.
Da pfauchte sie wie eine katze uns an.
"Fort, Fliegen!", schrie sie, "fort!"
VIERTE MAGD
"Schmeissfliegen, fort!"
DRITTE MAGD
"Sitzt nicht auf meinen Wunden!" und schlug nach uns mit einem Strohwisch.
VIERTE MAGD
"Schmeissfliegen, fort!"
DRITTE MAGD
"Ihr sollt das Süsse nicht abweiden von der Qual. Ihr sollt nicht schmatzen nach meiner Krämpfe Schaum."
VIERTE MAGD
"Geht ab, verkriecht euch," schrie sie uns nach. "Esst Fettes, und esst Süsses und geht zu Bett mit euren Männern" schrie sie, und die ―
DRITTE MAGD
ich war nicht faul ―
VIERTE MAGD
die gab ihr Antwort!
DRITTE MAGD
Ja: "wenn du hungrig bist," gab ich zur Antwort, "so isst du auch," da sprang sie auf und schoss grässliche Blicke, reckte ihre Finger wie Krallen gegen uns und schrie: "Ich füttre mir einen Geier auf im Leib."
ZWEITE MAGD
Und du?
DRITTE MAGD
"Drum hockst du immerfort," gab ich zurück, "wo Aasgeruch dich hält und scharrst nach einer alten Leiche!"
ZWEITE MAGD
Und was sagte sie da?
DRITTE MAGD
Sie heulte nur und warf sich in ihren Winkel.
ERSTE MAGD
Dass die Königin solch einen Dämon frei in Haus und Hof sein Wesen treiben lässt.
ZWEITE MAGD
Das eigne Kind!
ERSTE MAGD
Wär' sie mein Kind, ich hielte, ich ― bei Gott! ― sie unter Schloss und Riegel.
VIERTE MAGD
Sind sie dir nicht hart genug mit ihr?
Setzt man ihr nicht den Napf
mit Essen zu den Hunden?
Hast du den Herrn nie sie schlagen sehn?
FÜNFTE MAGD
ganz jung, mit zitternder erregter Stimme
Ich will vor ihr mich niederwerfen und die Füsse ihr küssen.
Ist sie nicht ein Königskind und duldet solche Schmach!
Ich will die Füsse ihr salben und mit meinem Haar sie trocknen.
DIE AUFSEHERIN
Hinein mit dir!
Stösst sie
FÜNFTE MAGD
Es gibt nichts auf der Welt, das königlicher ist als sie. Sie liegt in Lumpen auf der Schwelle, aber niemand, niemand ist hier im Haus, der ihren Blick aushält!
DIE AUFSEHERIN
Hinein!
Stösst sie in die offene niedrige Tür links vorne
FÜNFTE MAGD
in die Tür geklemmt
Ihr alle seid nicht wert, die Luft zu atmen, die sie atmet! O, könnt' ich euch alle, euch, erhängt am Halse, in einer Scheuer Dunkel hängen sehn um dessen willen, was ihr an Elektra getan!
DIE AUFSEHERIN
schlägt die Tür zu
Hört ihr das? wir, an Elektra!
die ihren Napf von unserm Tische stiess, als man mit uns sie essen hiess, die ausspie vor uns und Hündinnen uns nannte.
ERSTE MAGD
Was? Sie sagte:
keinen Hund kann man erniedern, wozu man uns hat abgerichtet: dass wir mit Wasser und mit immer frischem Wasser das ewige Blut des Mordes von der Diele abspülen ―
DRITTE MAGD
"und die Schmach," so sagte sie, "die Schmach, die sich bei Tag und Nacht erneut, in Winkel fegen..."
ERSTE MAGD
"unser Leib," so schreit sie, "starrt von dem Unrat, dem wir dienstbar sind!"
Die Mägde tragen die Gefässe ins Haus links
DIE AUFSEHERIN
die ihnen die Tür aufgemacht
Und wenn sie uns mit unsern Kindern sieht,
so schreit sie:
"nichts kann so verflucht sein, nichts, als Kinder, die wir hündisch auf der Treppe im Blute glitschernd, hier in diesem Haus empfangen und geboren haben."
Sagt sie das oder nicht?
DIE DIENERINNEN
im Abgehen
Ja! ja!
DIE AUFSEHERIN
Sagt sie das oder nicht?
DIE DIENERINNEN
Alle schon drinnen
Ja, ja.
DIE EINE
innen
Sie schlagen mich!
Die Aufseherin geht hinein. Die Tür fällt zu. Elektra tritt aus dem Hause
ELEKTRA
Allein! Weh, ganz allein.
Der Vater fort,
hinabgescheucht in seine kalten Klüfte.
gegen den Boden
Agamemnon! Agamemnon!
Wo bist du, Vater?
Hast du nicht die Kraft, dein Angesicht herauf
zu mir zu schleppen?
Es ist die Stunde, unsre Stunde ist's!
Die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben,
dein Weib und der mit ihr in einem Bette,
in deinem königlichen Bette schläft.
Sie schlugen dich im Bade tot,
dein Blut rann über deine Augen,
und das Bad dampfte von deinem Blut,
da nahm er dich, der Feige, bei den Schultern,
zerrte dich hinaus aus dem Gemach,
den Kopf voraus, die Beine schleifend hinterher:
dein Auge, das starre, offne,
sah herein ins Haus.
So kommst du wieder,
setzest Fuss vor Fuss und stehst auf einmal da,
die beiden Augen weit offen,
und ein königlicher Reif von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich aus des Hauptes offner Wunde.
Agamemnon! Vater!
Ich will dich sehn,
lass mich heute nicht allein!
Nur so wie gestern, wie ein Schatten,
dort im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!
Vater! Agamemnon,
dein Tag wird kommen!
Von den Sternen stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!
So wie aus umgeworfnen Krügen wird's
aus den gebunden Mördern fliessen,
und in einem Schwall, in einem geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben aus ihnen stürzen ―
und wir schlachten dir die Rosse, die im Hause sind,
wir treiben sie vor dem Grab zusammen,
und sie ahnen den Tod und wiehern in die Todesluft und sterben,
und wir schlachten dir die Hunde,
die dir die Füsse leckten,
die mit dir gejagt,
denen du die Bissen hinwarfst,
darum müss ihr Blut hinab, um dir zu Dienst zu sein,
und wir, wir, dein Blut, dein Sohn Orest
und deine Töchter, wir drei,
wenn alles dies vollbracht
und Purpurgezelte aufgerichtet sind,
vom Dunst des Blutes, den die Sonne nach sich zieht, dann tanzen wir, dein Blut, rings um dein Grab:
in begeistertem Pathos
und über Leichen hin werd' ich das Knie hochheben Schritt für Schritt,
und die mich werden so tanzen sehn,
ja, die meinen Schatten von weiten nur so werden tanzen sehn, die werden sagen:
einem grossen König wird hier ein grosses Prunkfest angestellt von seinem Fleisch und Blut,
und glücklich ist, wer Kinder hat, die um sein hohes Grab so königliche Siegestänze tanzen!
Agamemnon! Agamemnon!
CHRYSOTHEMIS
die jüngere Schwester, steht in der Haustür
Elektra!
Elektra fährt zusammen und starrt zuerst wie aus einem Traum erwachend auf Chrysothemis
ELEKTRA
Ah, das Gesicht!
CHRYSOTHEMIS
steht an die Tür gedrückt
Ist mein Gesicht dir so verhasst?
ELEKTRA
Was willst du?
Rede, sprich, ergiesse dich,
dann geh und lass mich!
CHRYSOTHEMIS
hebt wie abwehrend die Hände
ELEKTRA
Was hebst du die Hände?
So hob der Vater seine beiden Hände,
da fuhr das Beil hinab und spaltete sein Fleisch.
Was willst du,
Tochter meiner Mutter,
Tochter Klytämnestras?
CHRYSOTHEMIS
Sie haben etwas Fürchterlichtes vor.
ELEKTRA
Die beiden Weiber?
CHRYSOTHEMIS
Wer?
ELEKTRA
Nun, meine Mutter
und jenes andre Weib, die Memme,
ei, Aegisth, der tapfre Meuchelmörder,
er, der Heldentaten nur im Bett vollführt.
Was haben sie denn vor?
CHRYSOTHEMIS
Sie werfen dich in einen Turm, wo du von Sonn' und Mond das Licht nicht sehen wirst.
ELEKTRA
lacht
CHRYSOTHEMIS
Sie tun's, ich weiss es, ich hab's gehört.
ELEKTRA
Wie hast denn du es hören können?
CHRYSOTHEMIS
An der Tür, Elektra.
ELEKTRA
Mach keine Türen auf in diesem Haus!
Gepresster Atem, pfui!
und Röcheln von Erwürgten,
nichts andres gibt's in diesen Mauern.
Mach keine Türen auf!
Schleich nicht herum.
Sitz an der Tür wie ich und wünsch
den Tod und das Gericht herbei auf sie und ihn.
CHRYSOTHEMIS
Ich kann nicht sitzen
und ins Dunkel starren wie du.
Ich hab's wie Feuer in der Brust,
es treibt mich immerfort herum im Haus,
in keiner Kammer leidet's mich,
ich muss von einer Schwelle auf die andre,
ach! treppauf, treppab, mir ist, als rief' es mich,
und komm ich hin,
so stiert ein leeres Zimmer mich an.
Ich habe soche Angst,
mir zittern die Knie bei Tag und Nacht,
mir ist die Kehle wie zugeschnürt,
ich kann nicht einmal weinen, wie Stein ist Alles!
Schwester, hab Erbarmen!
ELEKTRA
Mit wem?
CHRYSOTHEMIS
Du bist es, die mit Eisenklammern
mich an den Boden schmiedet.
Wärst nicht du,
sie liessen uns hinaus.
Wär nicht dein Hass,
dein schlafloses, unbändiges Gemüt,
vor dem sie zittern,
ah, so liessen sie uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!
Ich will heraus!
Ich will nicht jede Nacht bis an den Tod hier schlafen! Eh ich sterbe, will ich auch leben!
Kinder will ich haben, bevor mein Leib verwelkt,
und wärs ein Bauer, dem sie mich geben,
Kinder will ich ihm gebären
und mit meinem Leib sie wärmen in kalten Nächten,
wenn der Sturm die Hütte zusammenschüttelt!
Hörst du mich an? Sprich zu mir, Schwester!
ELEKTRA
Armes Geschöpf!
CHRYSOTHEMIS
Hab Mitleid mit der selber und mit mir!
Wem frommt denn solche Qual?
Der Vater, der ist tot.
Der Bruder kommt nicht heim.
Immer sitzen wir auf der Stange wie angehängte Vögel, wenden links und rechts den Kopf
und niemand kommt kein Bruder ―
kein Bote von dem Bruder,
nicht der Bote von einem Boten.
Nichts ―
Mit Messern gräbt Tag um Tag
in dein und mein Gesicht sein Mal
und draussen geht die Sonne auf und ab,
und Frauen, die ich schlank gekannt hab',
sind schwer von Segen,
mühn sich zum Brunnen heben kaum die Eimer,
und auf einmal sind sie entbunden ihrer Last
kommen zum Brunnen wieder
und aus ihnen selber quillt süsser Trank
und säugend hängt ein Leben an ihnen,
und die Kinder werden gross ―
Nein, ich bin ein Weib
und will ein Weiberschicksal.
Viel lieber tot als leben und nicht leben.
Sie bricht in heftiges Weinen aus
ELEKTRA
Was heulst du?
Fort, hinein! Dort ist dein Platz.
Es geht ein Lärm los.
Stellen sie vielleicht für dich die Hochzeit an?
Ich hör sie laufen.
Das ganze Haus ist auf.
Sie kreissen oder sie morden.
Wenn es an Leichen mangelt, drauf zu schlafen,
müssen sie doch morden!
CHRYSOTHEMIS
Geh fort, verkriech dich!
dass sie dich nicht sieht.
Stell dich ihr heut' nicht in den Weg:
sie schickt Tod aus jedem Blick.
Sie hat geträumt.
Der Lärm von vielen Kommenden drinnen, allmählich näher
Geh fort von hier.
Sie kommen durch die Gänge.
Sie kommen hier vorbei.
Sie hat geträumt:
Sie hat geträumt,
ich weiss nicht, was,
ich hab' es von den Mägden gehört,
sie sagen, dass sie von Orest,
von Orest geträumt hat,
dass sie geschrien hat aus ihrem Schlaf,
wie einer schreit, den man erwürgt.
Fackeln und Gestalten erfüllen den Gang links von der Tür.
CHRYSOTHEMIS
Sie kommen schon.
Sie treibt die Mägde alle mit Fackeln vor sich her.
Sie schleppen Tiere und Opfermesser.
Schwester,
wenn sie zittert, ist sie am schrecklichsten,
geh ihr nur heut,
nur diese Stunde geh aus ihrem Weg!
ELEKTRA
Ich habe eine Lust, mit meiner Mutter zu reden
wie noch nie!
An den grell erleuchteten Fenstern klirrt und schlürft ein hastiger Zug vorüber: es ist ein Zerren, ein Schleppen von Tieren, ein gedämpftes Keifen, ein schnell ersticktes Aufschreien, das Niedersausen einer Peitsche, ein Aufraffen, ein Weitertaumeln
CHRYSOTHEMIS
Ich will's nicht hören.
Stürzt ab durch die Hoftür
In dem breiten Fenster erscheint Klytämnestra. Ihr fahles, gedunsenes Gesicht, in dem grellen Licht der Fackeln, erscheint noch bleicher über dem scharlachroten Gewand. Sie stützt sich auf eine Vertraute, die dunkelviolett gekleidet ist, und auf einen elfenbeinernen, mit Edelsteinen geschmückten Stab. Eine gelbe Gestalt, mit zurückgekämmtem schwarzem Haar, einer Egypterin ähnlich, mit glattem Gesicht einer aufgerichteten Schlange gleichend, trägt ihr die Schleppe. Die Königin ist über und über bedeckt mit Edelsteinen und Talismanen, die Arme sind voll von Reifen, ihre Finger starren von Ringen. Die Lider ihrer Augen scheinen übermässig gross und es scheint ihr eine furchtbare Anstrengung zu kosten, sie offen zu halten. Elektra richtet sich hoch auf. Klytämnestra öffnet jäh die Augen, zitternd vor Zorn tritt sie ans Fenster und zeigt mit dem Stock auf Elektra
KLYTÄMNESTRA
Was willst du?
Seht doch, dort! so seht doch das!
Wie es sich aufbäumt mit geblähtem Hals
und nach mir züngelt!
und das lass ich frei in meinem Hause laufen!
Wenn sie mich mit ihren Blicken töten könnte!
O Götter,
warum liegt ihr so auf mir?
Warum verwüstet ihr mich so?
warum muss meine Kraft in mir gelähmt sein,
warum bin ich lebendigen Leibes wie ein wüstes Gefild und diese Nessel wächst aus mir heraus,
und ich hab' nicht die Kraft zu jäten!
Warum geschieht mir das, ihr ew'gen Götter?
ELEKTRA
Die Götter!
bist doch selber eine Göttin!
bist, was sie sind.
KLYTÄMNESTRA
Habt ihr gehört?
habt ihr verstanden, was sie redet?
DIE VERTRAUTE
Dass auch du vom Stamm der Götter bist.
DIE SCHLEPPENTRÄGERIN
zischend:
Sie meint es tückisch.
KLYTÄMNESTRA
Klytämnestras schwere Augenlider fallen zu
Das klingt mir so bekannt.
Und nur als hätt ich's vergessen, lang und lang.
Sie kennt mich gut.
Doch weiss man nie, was sie im Schilde führt.
Die Vertraute und die Schleppträgerin flüstern miteinander
ELEKTRA
nähert sich langsam Klytämnestra
Du bist nicht mehr du selber.
Das Gewürm hängt immerfort um dich.
Was sie ins Ohr dir zischen, trennt dein Denken fort und fort entzwei, so gehst du hin im Taumel, immer bist du als wie im Traum.
KLYTÄMNESTRA
Ich will hinunter.
Lasst, lasst, ich will mit ihr reden.
Sie geht vom Fenster weg und erscheint mit ihren Begleiterinnen in der Türe von der Türschwelle aus
Sie ist heute nicht widerlich.
Sie redet wie ein Arzt.
DIE VERTRAUTE
Sie redet nicht, wie sie's meint.
DIE SCHLEPPENTRÄGERIN
Ein jedes Wort ist Falschheit.
KLYTÄMNESTRA
auffahrend
Ich will nichts hören.
Was aus euch herauskommt,
ist nur der Atem des Aegisth.
Und wenn ich nachts euch wekke,
redet ihr nicht jede etwas andres?
Schreist nicht du,
dass meine Augenlider angeschwollen
und meine Leber krank ist,
und winselst nicht du ins andre Ohr,
dass du Dämonen gesehen hast mit langen spitzen Schnäbeln, die mir das Blut aussagen?
zeigst du nicht die Spuren mir an meinem Fleisch,
und folg' ich dir nicht und schlachte, schlachte, schlachte Opfer um Opfer?
Zerrt ihr mich mit euren Reden
und Gegenreden nicht zu Tod?
Ich will nicht mehr hören:
das ist wahr und das ist Lüge.
Was die Wahrheit ist,
das bringt kein Mensch heraus.
Wenn sie zu mir redet, was mich zu hören freut,
so will ich horchen, auf was sie redet.
Wenn einer etwas Angenehmes sagt,
und wär' es meine Tochter, wär es die da,
will ich von meiner Seele alle Hüllen abstreifen und das Fächeln sanfter Luft,
von wo es kommen mag, einlassen,
wie die Kranken tun, wenn sie der kühlen Luft, am Teiche sitzend, abends ihre Beulen und all ihr Eiterndes der kühlen Luft preisgeben abends,
und nichts andres denken,
als Linderung zu schaffen.
Lasst mich allein mit ihr.
Ungeduldig weist sie mit dem Stock die Vertraute und die Schleppträgerin ins Haus. Diese verschwinden zögernd in der Tür. Auch die Fackeln verschwinden und nur aus dem Innern des Hauses fällt ein schwacher Schein durch den Flur auf den Hof und streift hie und da die Gestalten der beiden Frauen Klytämnestra kommt herab
KLYTÄMNESTRA
Ich habe keine guten Nächte.
Weisst du kein Mittel gegen Träume?
ELEKTRA
näher rückend
Träumst du, Mutter?
KLYTÄMNESTRA
Wer älter wird, der träumt.
Allein es lässt sich vertreiben.
Es gibt Bräuche.
Es muss für alles richtige Bräuche geben.
Darum bin ich so behängt mit Steinen.
Denn es wohnt in jedem ganz sicher eine Kraft.
Man muss nur wissen, wie man sie nützen kann.
Wenn du nur wolltest, du könntest etwas sagen,
das mir nützt.
ELEKTRA
Ich, Mutter, ich?
KLYTÄMNESTRA
Ja, du! denn du bist klug.
In deinem Kopf ist alles stark.
Du könntest vieles sagen, was mir nützt.
Wenn auch ein Wort nichts weiter ist!
Was ist denn ein Hauch!
und doch kriecht zwischen Tag und Nacht,
wenn ich mit offnen Augen lieg',
ein Etwas hin über mich,
es ist kein Wort,
es ist kein Schmerz,
es drückt mich nicht,
es würgt mich nicht,
nichts ist es,
nicht einmal ein Alp,
und dennoch es ist so fürchterlich,
dass meine Seele sich wünscht, erhängt zu sein,
und jedes Glied in mir schreit nach dem Tod,
und dabei leb' ich und bin nicht einmal krank;
du siehst mich doch:
seh' ich wie eine Kranke?
Kann man denn vergehn, lebend, wie ein faules Aas?
kann man zerfallen, wenn man garnicht krank ist?
zerfallen wachen Sinnes, wie ein Kleid,
zerfressen von den Motten?
Und dann schlaf' ich und träume, träume!
dass sich mir das Mark in den Knochen löst,
und taumle wieder auf, und nicht der zehnte Teil der Wasseruhr ist abgelaufen,
und was unter'm Vorhang hereingrinst,
ist noch nicht der fahle Morgen,
nein, immer noch die Fackel vor der Tür,
die grässlich zuckt wie ein Lebendiges
und meinen Schlaf belauert.
Diese Träume müssen ein Ende haben.
Wer sie immer schickt:
ein jeder Dämon lässt von uns,
sobald das rechte Blut geflossen ist.
ELEKTRA
Ein jeder!
KLYTÄMNESTRA
Und müsst' ich jedes Tier,
das kriecht und fliegt, zur Ader lassen
und im Dampf des Blutes aufsteh'n und schlafen gehn wie die Völker des letzten Thule in blutroten Nebel: ich will nicht länger träumen.
ELEKTRA
Wenn das rechte Blutopfer unter'm Beile fällt,
dann träumst du nicht länger.
KLYTÄMNESTRA
Also wüsstest du, mit welchem geweihten Tier ―
ELEKTRA
Mit einem ungeweihten!
KLYTÄMNESTRA
Das drin gebunden liegt?
ELEKTRA
Nein! es läuft frei.
KLYTÄMNESTRA
Und was für Bräuche?
ELEKTRA
Wunderbare Bräuche,
und sehr genau zu üben.
KLYTÄMNESTRA
Rede doch!
ELEKTRA
Kannst du mich nicht erraten?
KLYTÄMNESTRA
Nein, darum frag' ich.
Den Namen sag des Opfertiers.
ELEKTRA
Ein Weib.
KLYTÄMNESTRA
hastig
Von meinen Dienerinnen eine sag!
ein Kind? ein jungfäuliches Weib?
ein Weib, das schon erkannt vom Manne?
ELEKTRA
Ja! erkannt!
das ist's!
KLYTÄMNESTRA
Und wie das Opfer? und welche Stunde, und wo?
ELEKTRA
An jedem Ort, zu jeder Stunde
des Tags und der Nacht.
KLYTÄMNESTRA
Die Bräuche sag!
Wie brächt' ich's dar? ich selber muss ―
ELEKTRA
Nein. Diesmal gehst du nicht auf die Jagd
mit Netz und mit Beil.
KLYTÄMNESTRA
Wer denn? wer brächt es dar?
ELEKTRA
Ein Mann.
KLYTÄMNESTRA
Aegisth?
ELEKTRA
lacht:
Ich sagte doch: ein Mann!
KLYTÄMNESTRA
Wer? gib mir Antwort.
Vom Hause jemand?
oder muss ein Fremder herbei?
ELEKTRA
zu Boden stierend, wie abwesend:
Ja, ja, ein Fremder.
Aber freilich ist er vom Haus.
KLYTÄMNESTRA
Gib mir nicht Rätsel auf.
Elektra, hör mich an.
Ich freue mich, dass ich dich heut einmal nicht störrisch finde.
ELEKTRA
Lässt du den Bruder nicht nach Hause, Mutter?
KLYTÄMNESTRA
Von ihm zu reden hab' ich dir verboten.
ELEKTRA
So hast du Furcht vor ihm?
KLYTÄMNESTRA
Wer sagt das?
ELEKTRA
Mutter, du zitterst ja!
KLYTÄMNESTRA
Wer fürchtet sich vor einem Schwachsinnigen.
ELEKTRA
Wie?
KLYTÄMNESTRA
Es heisst, er stammelt, liegt im Hofe bei den Hunden und weiss nicht Mensch und Tier zu unterscheiden.
ELEKTRA
Das Kind war ganz gesund.
KLYTÄMNESTRA
Es heisst, sie gaben ihm schlechte Wohnung
und Tiere des Hofes zur Gesellschaft.
ELEKTRA
Ah!
KLYTÄMNESTRA
mit gesenkten Augenlidern
Ich schickte viel Gold und wieder Gold,
sie sollten ihn gut halten als ein Königskind.
ELEKTRA
Du lügst!
Du schicktest Gold, damit sie ihn erwürgen.
KLYTÄMNESTRA
Wer sagt dir das?
ELEKTRA
Ich seh's an deinen Augen.
Allein an deinem Zittern seh' ich auch,
dass er noch lebt.
Dass du bei Tag und Nacht an nichts denkst als an ihn. Dass dir das Herz verdorrt vor Grauen, weil du weisst: er kommt.
KLYTÄMNESTRA
Was kümmert mich, wer ausser Haus ist.
Ich lebe hier und bin die Herrin.
Diener hab ich genug, die Tore zu bewachen,
und wenn ich will,
lass ich bei Tag und Nacht vor meiner Kammer drei Bewaffnete mit offenen Augen sitzen.
Und aus dir bring' ich so oder so
das rechte Wort schon an den Tag.
Du hast dich schon verraten, dass du das rechte Opfer weisst und auch die Bräuche, die mir nützen.
Sagst du's nicht im Freien,
wirst du's an der Kette sagen.
Sagst du nicht satt,
so sagst du's hungernd.
Träume sind etwas, das man los wird.
Wer dran leidet und nicht das Mittel findet,
sich zu heilen, ist nur ein Narr.
Ich finde mir heraus, wer bluten muss,
damit ich wieder schlafe.
ELEKTRA
mit einem Sprung aus dem Dunkel auf sie zu, immer näheran ihr, immer furchtbarer anwachsend:
Was bluten muss?
Dein eigenes Genick,
wenn dich der Jäger abgefangen hat!
Ich hör ihn durch die Zimmer gehn,
ich hör ihn den Vorhang von dem Bette heben:
Wer schlachtet ein Opfertier im Schlaf!
Er jagt dich auf,
schreiend entfliehst du.
Aber er, er ist hinterdrein,
er treibt dich durch das Haus!
willst du nach rechts, da steht das Bett!
nach links, da schäumt das Bad wie Blut!
das Dunkel und die Fakkeln werfen
schwarzrote Todesnetze über dich ―
Klytämnestra von sprachlosem Grauen geschüttelt
Hinab die Treppen durch Gewölbe hin,
Gewölbe und Gewölbe geht die Jagd
Und ich, ich, ich, ich, ich, die ihn dir geschickt,
ich bin wie ein Hund an deiner Ferse, willst du
in eine Höhle, spring ich dich von seitwärts
an. So treiben wir dich fort, bis eine Mauer
Alles sperrt, und dort ― im tiefsten Dunkel,
doch ich seh ihn wohl, ein Schatten, und doch Glieder
und das Weisse von einem Auge doch, da sitzt
der Vater, er achtet's nicht, und doch muss es geschehn,
zu seinen Füssen drücken wir dich hin.
Du möchtest schreien, doch die Luft erwürgt
den ungebornen Schrei und lässt ihn lautlos
zu Boden fallen, wie von Sinnen hälst du
den Nacken hin, fühlst schon die Schärfe zukken
bis an den Sitz des Lebens, doch er hält
den Schlag zurück: die Bräuche sind noch nicht erfüllt.
alles schweigt, du hörst dein eignes Herz
an deinen Rippen schlagen: diese Zeit
― sie dehnt sich vor dir wie ein finstrer Schlund
von Jahren ― diese Zeit ist dir gegeben
zu ahnen, wie es Scheiternden zu Mute ist,
wenn ihr vergebliches Geschrei die Schwärze
der Wolken und des Tods zerfrisst, diese Zeit
ist dir gegeben, alle zu beneiden,
die angeschmiedet sind an Kerkermauern,
die auf dem Grund von Brunnen nach dem Tod
als wie nach Erlösung schrei'n ― denn du,
du liegst in deinem Selbst so eingekerkert,
als wär's der glühnde Bauch von einem Tier
von Erz ― und so wie jetzt kannst du nicht schrein!
da steh' ich
vor dir, und nun liest du mit starrem Aug'
das ungeheure Wort, das mir in mein
Gesicht geschrieben ist:
erhängt ist dir die Seele in der selbst-
gedrehten Schlinge, sausend fällt das Beil,
und ich steh' da und seh' dich endlich sterben!
Dann träumst du nicht mehr, dann brauche ich
nicht mehr zu träumen, und wer dann noch lebt,
der jauchzt und kann sich seines Lebens freun!
Sie stehn einander, Elektra in wilder Trunkenheit, Klytämnestra grässlich atmend vor Angst, Aug' in Aug'. In diesen Augenblick erhellt sich die Hausflur. die Vertraute kommt hergelaufen. Sie flüstert Klytämnestra etwas ins Ohr. Diese scheint erst nicht recht zu verstehen. Allmählich kommt sie zu sich. Sie winkt: Lichter! Es laufen Dienerinnen mit Fackeln heraus, und stellen sich hinter Klytämnestra. Sie winkt: Mehr Lichter! Nun verändern sich ihre Züge allmählich und die Spannung weicht einem bösen Triumph. Es kommen immer mehr Dienerinnen heraus, stelle sich hinter Klytämnestra, so dass der Hof voll von Licht wird undrotgelber Schein um die Mauern flutet. Klytämnestra lässt sich die Botschaft abermals zuflüstern und verliert dabei Elektra keinen Augenblick aus dem Auge. Ganz bis an den Hals sich sättigend mitwilder Freude, streckt Klytämnestra die beiden Hände drohend gegen Elektra. Dann hebt ihr die Vertraute den Stock auf und, auf beide sich stützend, eilig, gierig, an den Stufen ihr Gewand aufraffend, läuft sie ins Haus. Die Dienerinnen mit den Lichtern,wie gejagt, hinter ihr drein
ELEKTRA
Was sagen sie ihr denn? sie freut sich ja!
Mein Kopf! Mir fällt nichts ein. Worüber freut sich
das Weib?