ZWEITER AKT
1. Szene: Aron und die 70 Ältesten vor dem Berg der Offenbarung .
DIE 70 ÄLTESTEN
Vierzig Tage!
PRIESTER
Vierzig Tage liegen wir nun schon hier!
70 ÄLTESTE
Wie lange noch?
PRIESTER
Wie lange soll das noch dauern?
Vierzig Tage warten wir nun auf Moses,
und noch immer weiß keiner Recht
und Gesetz!
Unvorstellbares Gesetz
des unvorstellbaren Gottes!
EIN ÄLTESTER
Immer besetzt Juda die besten Weideplätze!
EIN ANDERER
Ärger als Ägypten,
zu Fron ohne Ruhetag
zwingt Ephraim Benjamins Söhne!
EIN DRITTER
Benjamins Söhne
haben Ephraims Weiber geraubt!
70 ÄLTESTE
Gewalt regiert!
Unzucht kennt ihre Strafe nicht,
Tugend nicht ihren Lohn!
Vierzig Tage warten wir vergebens
vor dieser Höhe!
ARON
Wenn Moses von dieser Höhe herniedersteigt,
wo ihm allein das Gesetz sich offenbart,
soll mein Mund euch Recht und Gesetz vermitteln.
Erwartet die Form nicht vor dem Gedanken!
Aber gleichzeitig wird sie da sein!
70 ÄLTESTE
Das wird zu spät kommen!
Das Volk ist verzweifelt!
Es mißtraut dieser Höhe,
deren Umzäunung es vom Berg der Offenbarung trennt.
Es rast, es glaubt uns keinem mehr;
hält die Umzäunung für Willkür,
die Offenbarung für Ausflucht,
Moses' Schweigen für Flucht!
(Lärm aus weiter Ferne)
Hört! Hört! Zu spät!
(Lärm, Geheule und Tosen kommt, immer lauter, rasch näher; in wütender Erregung stürzt von allen Seiten die brüllende Volksmenge auf die Bühne)
2. Szene
CHOR
Wo ist Moses?
Daß wir ihn zerreißen!
Wo ist der Allgegenwärtige?
Daß er es mit ansieht!
Wo ist der Allmächtige?
Daß er uns daran hindre!
Fürchtet nichts! Zerreißt ihn!
Der Unvorstellbare hat es nicht verboten!
Gebt uns unsre Götter wieder,
daß sie Ordnung schaffen!
Oder wir zerreißen euch,
die ihr uns Gesetz und Recht genommen habt.
(Sie dringen auf Aron und die 70 Ältesten ein)
70 ÄLTESTE
Aron, hilf uns! Sprich zu ihnen!
Sie morden uns! Dich hören sie!
Du hast ihr Herz!
ARON
Volk Israels!
Mein Bruder Moses weilt,
wo er immer ist,
ob er uns nah ist oder fern;
er weilt auf dieser Höhe:
bei seinem Gott.
Vielleicht hat er uns verlassen,
der uns fern war;
vielleicht hat sein Gott ihn verlassen,
dem er nah war;
vielleicht kam er ihm zu nah!
Es ist ein strenger Gott:
Vielleicht hat er ihn getötet!
CHOR
(ein Gruppe)
Die Götter haben ihn getötet!
CHOR
Die Götter haben ihn getötet!
Die starken Götter vernichten den Frevler!
Die Ew'ge konnt ihn nicht beschützen.
Der Unsichtbare kommt keinem zu Hilfe.
Der Unsichtbare läßt nirgends sich blicken.
Sein Gott ist machtlos.
Zerreißt sie, tötet seine Priester,
erschlagt sie, verbrennt sie,
die Priester dieses falschen Gottes!
70 ÄLTESTE
Aron, hilf uns; gib nach!
ARON
Volk Israels!
Deine Götter geb' ich dir wieder
und dich ihnen;
wie es dich verlangt.
Lasset die Ferne dem Ewigen!
Euch gemäß sind Götter
gegenwärtigen, alltagsnahen Inhalts.
Ihr spendet diesen Stoff,
ich geb' ihm solche Form:
Alltäglich, sichtbar, faßlich,
in Gold verewigt.
Bringt Gold herbei!
Opfert! Ruft ihn an!
Ihr sollt glücklich werden!
CHOR
Jubelt, freut euch! Juble, Israel!
Götter, Bilder unsres Auges,
Götter, Herren unsrer Sinne!
Ihre leibliche Sichtbarkeit,
Gegenwart, verbürgt unsre Sicherheit;
ihre Grenzen und Meßbarkeit
fordern nicht, was unserm Gefühl versagt.
Götter, nahe unserm Fühlen,
Götter, die wir ganz begreifen:
Tugend lohne Glückseligkeit,
Übeltat bestrafe Gerechtigkeit;
zeigend unsrer Taten Folgen,
Götter, stellt sich eure Macht dar.
Juble, Israel, freue dich!
Farbig ist diese Gegenwart,
düster ist jene Ewigkeit;
Lebenslust scheut ihr Ende nicht,
furchtlos sucht sie es freiwillig;
Lust grenzt an Leben und an Tod,
steigert zu dem von jenem sich;
Drohung entzündet Lebensmut,
Standhaftigkeit und Tapferkeit.
Deinen Göttern als Inhalt
gabst du dein Innres,
dein Lebensgefühl.
Deiner Götter Aussehn
sichert dein Gold:
entäußre dich sein!
Mach dich arm, mach sie reich:
Sie werden dich nicht hungern lassen!
Juble, Israel!
Juble!
(Während des Letzten hat der Chor den Ausblick auf den Hintergrund freigegeben)
3. Szene: das goldene Kalb und der Altar
ARON
Dieses Bild bezeugt,
daß in allem, was ist, ein Gott lebt.
Unwandelbar, wie ein Prinzip,
ist der Stoff, das Gold,
das ihr geschenkt habt;
anschaulich - wandelbar,
wie alles andre: Zweite,
ist die Gestalt, die ich ihm gegeben.
Verehrt euch selbst in diesem Sinnbild!
(Schon während Arons letzter Ansprache sind von verschiedenen Seiten her Züge beladener Kamele, Esel, Pferde sowie Lastträger und Wagen auf die Bühne gekommen. Sie bringen Opfer herein, Gold, Getreide, Weinschläuche, Vieh und dergleichen mehr. An vielen Plätzen der Vorder und Hinterbühne wird abgeladen und aufgeschichtet. Züge mit Vieh aller Arten gehen vorüber. Gleichzeitig werden an vielen Stellen Vorbereitungen zum Schlachten getroffen: das Vieh wird geschmückt, bekränzt; Schlächter mit großen Messern treten auf, umtanzen das Vieh in wilden Sprüngen)
Tanz der Schlächter
(Es wird langsam Abend. Die Schlächter schlachten nun das Vieh, werfen Fleischstücke in die Menge, die sich darum balgt. Einzelne Personen laufen mit blutigen Fleischstücken herum und verzehren sie roh. Inzwischen werden große Kessel gebracht. Brennmaterial wird aufgeschichtet. Die Kessel werden aufgehängt. Am Altar werden Brandopfer dargebracht. Eine Kranke wird auf einer Bahre hereingetragen. Die Menge vorn macht Platz, die Kranke wird vor dem Goldenen Kalb abgesetzt)
EINE KRANKE
O Götterbild,
du strahlst, du wärmst, du heilst,
wie niemals die Sonne geheilt.
Den Finger leg' ich bloß auf dich,
und schon bewegen sich die lahmen Glieder.
(Sie steht auf und geht durch die staunende Menge)
(Inzwischen wurden Feuer unter den Kesseln entzündet, man brät und siedet; mit zunehmender Dunkelheit flammen überall große Feuer auf. Auch Fackeln werden angezündet, und Menschen laufen mit solchen hin und her. Wein- und Ölschläuche werden verteilt, Wein und Öl in große Krüge gegossen. Dabei gehen im Hintergrund die Vorgänge des Schlachtens usw. weiter. Im Hintergrund wird dann rechtzeitig Platz geschaffen für den Auftritt der herein galoppierenden Stammesfürsten. Entzückt von dem Wunder der Kranken, haben sich einzelne Personen von verschiedenen Seiten zum Goldenen Kalb hervorgedrängt und bilden allmählich und nacheinander die beiden Gruppen: Bettlerinnen und Bettler einerseits, Greise andrerseits)
BETTLERINNEN
(ganz nahe dem Kalb)
Hier, o Götter, nehmt die letzten Lumpen,
die uns vor Sonnenglut und Wüstenstaub
geschützt haben.
Und hier die letzten Bissen,
die wir uns für morgen erbettelt haben.
(Sie werfen ihre Kleider ab, legen Nahrungsmittel hin. Einige der Umstehenden drängen sich an die Bettler heran, bieten ihnen Geschenke an, werden aber abgewiesen. Einige Greise, die sich mühsam herangeschleppt haben, stehen nun vor dem Goldenen Kalb!)
GREISE
Die letzten Augenblicke,
die wir noch zu leben haben,
nehmt sie als Opfer.
(Sie sinken um)
70 ÄLTESTE
Sie haben sich getötet.
(Posaunenstoß hinter der Szene. Kommt näher; Galopp wird hörbar; nähert sich rasch; das Volk, aufgeregt, stiebt auseinander; die Stammesfürsten und der Ephraimit reiten in wildem Galopp bis vor das Kalb; springen dort ab; Umstehende halten die Pferde)
DER EPHRAIMIT
Frei unter eigenen Herren,
unterwirft sich ein Volk nur Göttern,
die kraftvoll herrschen.
Stammesfürsten, huldigt mit mir
diesem Abbild geregelter Kräfte!
DIE STAMMESFÜRSTEN
Im Namen aller von uns geführten Stämme,
Götter, seht uns vor euch auf den Knien,
die höhere Macht der höchsten unterworfen.
CHOR
Frei unter eigenen Herren!
(Der Jüngling hat sich einen Weg durch die Menge gebahnt. Er ist zum Skelett abgemagert, sieht fiebrig aus. Mit einer langen Latte, die er mit beiden Händen hält, schlägt er auf die Umstehenden ein und will sie zwingen, vom Götzendienst abzulassen)
JÜNGLING
Gedankenhoch waren wir erhöht,
gegenwartsfern, zukunftsnah!
Lebenstief sind wir erniedrigt.
Zertrümmert sei dies Abbild des Zeitlichen!
Rein sei der Ausblick zur Ewigkeit!
(Der Ephraimit der hinter ihm gestanden ist, ergreift ihn am Genick und drückt ihn zu Boden)
DER EPHRAIMIT
Hier Blick nun zur Ewigkeit,
wenn dir Lebensnähe so wenig wert ist.
(Die Stammesfürsten erschlagen den Jüngling, dann besteigen sie ihre Pferde, mischen sich, einzeln und unregelmäßig, unter das Volk und verschwinden, abreitend, unauffällig. In der Volksmenge herrscht nach den vorigen Handlungen der Hingabe und der Opfer eine Lust, sich gegenseitig zu beschenken, vor. Frauen schenken einander Schmuck, Tücher und dergleichen, Männer Waffen, Geräte und dergleichen; man bietet einander Speisen und Getränke, bekränzt sich und andere mit Blumen; einer hilft dem andern bei jeglicher Tätigkeit und ähnliches mehr)
Orgie der Trunkenheit und des Tanzes
(Überall wird nun Wein in Strömen ausgeschenkt. Eine wilde Trunkenheit bemächtigt sich aller. Man wirft die schweren Steinkrüge umher, begießt sich gegenseitig mit Wein und gerät in tolles Tanzen, wobei es auch hier und da zu Zwistigkeiten und Prügeleien kommt)
70 ÄLTESTE
Selig ist das Volk, und groß zeigt ein Wunder,
was Begeisterung, was Entzückung imstande:
umverwandelt keiner, jeder erhoben,
unergriffen keiner, jeder ergreifend.
Menschentugend, kraftvoll, wieder erweckte:
Ernst und Freude, Maß und Übermaß,
Frohsinn, Glück und Sehnsucht, Schwung
und Ruhe, Besinnung.
Gier, Entsagung, Geiz,
Verschwendung und Habsucht,
alles Schöne, Gute, Häßliche, Schlechte,
Eigenlebens Zeugnis, wahrnehmbar, fühlbar. -
Sinn schenkt Seele Sinn erst.
Seele ist Sinn.
Götter, die ihr Seele schenktet,
Sinne, Seele wahrzunehmen.
Götter, seid gepriesen!
Orgie der Vernichtung und des Selbstmordes
(Vier nackte Jung Frauen, eine davon das Mädchen, siehe 1. Akt, treten vor das Kalb)
MÄDCHEN
Du goldener Gott,
wie Lust durchströmt mich dein Glanz!
Was glänzt nur, ist gut.
Unangreifbare Tugend des Golds,
unverlierbare Jungfräulichkeit,
belohnt als Vorbild und Abbild.
VIER NACKTE JUNGFRAUEN
O goldener Gott,
o Priester goldener Götter,
das Blut jungfräulicher Unberührtheit,
gleich Goldes metallischer Kälte
zur Frucht nicht erwärmt,
oh, Götter, entzückt eure Priester,
entzückt uns zu erster und letzter Lust,
erhitzt unser Blut,
daß es zischend am kalten Gold verrauche!
O rotes Gold!
(Die Priester stürzen auf die Jungfrauen zu, umarmen und küssen sie lange. - Hinter jedes Paar stellt sich ein Mädchen, das ein langes Schlachtmesser und ein Gefäß zum Auffangen des Blutes in den Händen hält)
70 ÄLTESTE CHOR
(SCHAUDERND)
Blutopfer!
(Die Mädchen reichen den Priestern die Messer; die Priester fassen die Jungfrauen an der Gurgel und stoßen ihnen das Messer ins Herz; die Mädchen fangen das Blut in den Gefäßen auf; die Priester gießen es auf den Altar)
VIER NACKTE JUNGFRAUEN
(stoßen einen Todesseufzer)
Ah!
(Die Menge beginnt nun mit Verwüstung und Selbstmord; es werden Geräte zerschlagen, die Steinkrüge zerbrochen, die Wagen zertrümmert usw.; man schleudert alles mögliche umher: Schwerter Dolche, Beile, Lanzen, Krüge, Geräte usw. Im Taumel werfen einzelne sich den Gegenständen, Waffen und dergleichen entgegen, andere stürzen sich in Schwerter, wieder andere springen ins Feuer, laufen brennend über die Bühne, einige springen von hohen Felsen herab und dergleichen mehr; hierzu wilde Tänze).
Erotische orgie
(Ein nackter Jüngling läuft nach vorn, auf ein Mädchen zu, reißt ihm die Kleider vom Leib, hebt es hoch und rennt mit ihm zum Altar)
DER NACKTE JÜNGLING
Eurem Vorbild, Götter,
leben wir die Liebe nach!
(Viele Männer folgen diesem Beispiel, werfen ihre Kleider ab, entkleiden Frauen und tragen sie denselben Weg, am Altar haltmachend, nach dem Hintergrund)
EINIGE ANDERE NACKTE
Heilig ist die Zeugungskraft!
NOCH ANDERE (MEHR)
Heilig ist die Fruchtbarkeit!
VIELE ANDERE
Heilig ist die Lust!
(Ein ganzer Zug Nackter läuft auf diese Weise mit Geschrei und Gejohle am Altar vorbei und verschwindet im Hintergrund. Die Bühne ist durch den Abzug der Nackten leerer geworden; nun legt sich bald alle Erregtkeit; Taumel und Trunkenheit gehen in Erschlaffung und Müdigkeit über; viele sinken schlafend um oder ziehen sich still zurück. Aus dem Hintergrund klingt noch Musik und Gesang, von immer anderen Stellen her)
CHOR
Götter, die ihr Seele schenktet…
Sinne, Seele wahrzunehmen…
Du goldener Gott!
Gold glänzt wie Lust!
Menschentugend gleicht Gold!
Gold gleicht Lust!
Lust ist Wildheit!
Gold glänzt wie Blut!
Gold ist Herrschaft!
Hingabe!
Gerechtigkeit!
Verwirrender Glanz!
(Die Feuer erlöschen, bis auf wenige, allmählich. Alle Bewegung auf der Bühne hat aufgehört)
4. Szene
(Im Hintergrund, möglichst weit hinten, auf einem der Hügel, erhebt sich ein Mann, blickt eine Weile in die Richtung, wo man den Berg der Offenbarung zu denken hat, weckt gestikulierend einige ihm zunächst Liegende, die er veranlaßt, in dieselbe Richtung zu blicken und ruft dann)
EIN MANN
Moses steigt vom Berg herab!
(Auf diesen Ruf hin erwachen allenthalben die Schlafenden, erheben sich, und von allen Seiten strömt wieder Volk herbei)
MOSES
Vergeh, du Abbild des Unvermögens,
das Grenzenlose in ein Bild zu fassen!
(Das Goldene Kalb vergeht; das Volk weicht zurück und verschwindet rasch von der Bühne)
VOLK
Der Strahl des Goldes erlischt;
Unser Gott ist wieder unsichtbar.
Alle Lust, alle Freude, alle Hoffnung
ist weg!
Alles wieder trüb und lichtlos!
Laßt uns den Gewaltigen fliehn!
(Alle ab bis auf Moses und Aron)
5. Szene: Moses und Aron
MOSES
in höchstem Zorn.
Aron, was hast du getan?
ARON
Nichts Neues!
Nur, was stets meine Aufgabe war:
Wenn dein Gedanke kein Wort,
mein Wort kein Bild ergab,
vor ihren Ohren,
ihren Augen ein Wunder zu tun.
MOSES
Auf wessen Geheiß?
ARON
Wie immer:
ich hörte die Stimme in mir.
MOSES
Ich habe nicht gesprochen.
ARON
Aber ich habe dennoch verstanden.
MOSES
(drohend einen Schritt auf Aron zu)
Schweig!
ARON
(weicht erschreckt zurück)
Dein…Mund…
Du warst lange fern von uns…
MOSES
Bei meinem Gedanken!
Das müßte dir nahe sein!
ARON
Wenn du dich einsam machst,
wirst du tot geglaubt.
Das Volk hat auf das Wort deines Mundes,
dem Recht und Gesetz entspringen,
lange gewartet.
So mußte ich ihm ein Bild zu schauen geben.
MOSES
Dein Bild verblich vor meinem Wort!
ARON
Deinem Wort waren sonst Bilder
und Wunder, die du mißachtest, versagt.
Und doch war das Wunder nicht mehr als ein Bild:
als dein Wort mein Bild zerstörte.
MOSES
Gottes Ewigkeit vernichtet Götter Gegenwart!
Das ist kein Bild, kein Wunder!
Das ist das Gesetz.
Das Unvergängliche, sag es, wie diese Tafeln,
vergänglich; in der Sprache deines Mundes!
(Er hält Aron die Tafeln hin)
ARON
Israels Bestehn bezeuge den Gedanken des Ewigen!
MOSES
Ahnst du nun die Allmacht des
Gedankens über die Worte und Bilder?
ARON
Ich verstehe es so:
dieses Volk soll erhalten bleiben.
Aber ein Volk kann nur fühlen.
Ich liebe dieses Volk,
ich lebe für es
und will es erhalten!
MOSES
Um des Gedankens willen!
Ich liebe meinen Gedanken und lebe für ihn!
ARON
Auch du würdest dies Volk lieben,
hättest du gesehn, wie es lebt,
wenn es sehen, fühlen, hoffen darf.
Kein Volk kann glauben, was es nicht fühlt.
MOSES
Du erschütterst mich nicht!
Es muß den Gedanken erfassen!
Es lebt nur deshalb!
ARON
Ein beklagenswertes, ein Volk von
Märtyrern wäre es dann!
Kein Volk erfaßt mehr als einen Teil
des Bildes, das den faßbaren Teil des
Gedankens ausdrückt.
So mache dich dem Volk verständlich;
auf ihm angemeß’ne Art.
MOSES
Ich soll den Gedanken verfälschen?
ARON
Laß mich ihn auflösen!
Umschreibend, ohne auszusprechen:
Verbote,
furchterregend, doch befolgbar,
sichern das Bestehen;
die Notwendigkeit verklärend,
Gebote,
hart, doch hoffnungserweckend,
verankern den Gedanken.
Unbewußt wird getan, wie du willst.
Menschlich schwankend
wirst du dein Volk dann finden,
doch liebenswert!
MOSES
Das will ich nicht erleben!
ARON
Du mußt leben!
Du kannst nicht anders!
Du bist an deinen Gedanken gebunden!
MOSES
Ja, an meinen Gedanken,
wie ihn diese Tafeln ausdrücken…
ARON
Ein Teil des Gedankens sind.
MOSES
So zertrümmere ich diese Tafeln und
will Gott bitten, daß er mich von
diesem Amt abberuft.
(Er zertrümmert die Tafeln)
ARON
Kleinmütiger!
Du, der du Gottes Wort hast,
ob mit, ob ohne Tafeln:
Ich, dein Mund, bewahre deinen Gedanken,
wie immer ich ihn ausspreche.
MOSES
Durch Bilder!
ARON
Bilder deines Gedankens:
sie sind er, wie alles, was aus ihm hervorgeht.
Ich beuge mich der Notwendigkeit;
denn dieses Volk soll erhalten bleiben,
um für den Ewigkeitsgedanken zu zeugen.
Meine Bestimmung, es schlechter zu sagen,
als ich es verstehe.
Wissende jedoch werden ihn immer
wiederfinden!
CHOR
(zieht im Hintergrund vorüber, geführt von einer Feuersäule)
Er hat uns auserwählt vor allen Völkern,
das Volk des einz'gen Gottes zu sein;
ihm allein zu dienen,
keines andern Knecht!
Er wird uns führen in das Land,
wo Milch und Honig fließt,
und wir soll'n genießen,
was er unsern Vätern verheißen.
Allmächt'ger,
du bist stärker als Ägyptens Götter!
ARON
Sieh hin!
MOSES
Die Feuersäule!
ARON
Sie führt uns bei Nacht --
Der Allmächtige gibt durch mich dem
Volk ein Zeichen.
(Es wird im Hintergrund rasch Tag, die Feuersäule verblaßt und verwandelt sich in die Wolkensäule. Der Vordergrund bleibt verhältnismäßig finster)
MOSES
Die Wolkensäule!
ARON
Sie führt uns bei Tag.
MOSES
Götzenbilder!
ARON
Gottes Zeichen, wie der glühende Dornbusch.
Darin zeigt der Ewige nicht sich,
aber den Weg zu sich;
und den Weg ins gelobte Land!
(Aron langsam ab in den Hintergrund)
MOSES
Unvorstellbarer Gott!
Unaussprechlicher, vieldeutiger Gedanke!
Läßt du diese Auslegung zu?
Darf Aron, mein Mund, dieses Bild machen?
So habe ich mir ein Bild gemacht, falsch,
wie ein Bild nur sein kann!
So bin ich geschlagen!
So war alles Wahnsinn, was ich gedacht habe,
und kann und darf nicht gesagt werden!
O Wort, du Wort, das mir fehlt!
(Moses sinkt verzweifelt zu Boden)